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Die Schicksale von Gießener Frauen

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Randi Becker und acht der Autorinnen präsentieren im ZiBB die in einem Seminar der JLU entstandene Broschüre »Gießener Frauen«. Foto: Frahm © Frahm

In einem Seminar der Grundwissenschaften/Politikwissenschaften im Lehramt an der JLU ging Randi Becker mit ihren Studierenden den Schicksalen von Frauen im Nationalsozialismus nach.

Gießen . »Wenn wir an den Nationalsozialismus denken, wenn wir uns in der Schule oder in der Universität mit damit beschäftigen, wenn wir Filme und Dokumentationen sehen, dann sehen wir vor allem Männer«, sagt Randi Becker. Die Sozialwissenschaftlerin und Dozentin an der Justus-Liebig-Universität (JLU) sieht darin eine Fortsetzung der Diskriminierung, der sowohl Opfer, als auch Täterinnen und Widerstandskämpferinnen in der Nazizeit ausgesetzt waren.

In einem Seminar der Grundwissenschaften/Politikwissenschaften im Lehramt an der JLU, das wegen der Corona-Pandemie online stattfinden musste, ging Becker mit ihren Studierenden den Schicksalen von Frauen im Nationalsozialismus nach. Zahlreiche Porträts von Frauen wurden erstellt, die nun in einer 116-seitigen Broschüre mit ausführlichen Erläuterungstexten veröffentlicht worden sind. Im Zentrum für interkulturelle Bildung und Begegnung (ZiBB) wurde sie der Öffentlichkeit präsentiert. 100 Interessierte waren gekommen und erlebten Lesungen einiger Autorinnen aus dem Gemeinschaftswerk. Dabei trafen sich Dozentin und Studierende teilweise das erste Mal persönlich. Die Studierenden haben ihr Studium längst abgeschlossen und arbeiten bereits als Lehrerinnen oder Referendarinnen.

Auftakt mit gereimtem Vortrag

Randi Becker brachte ihre Freude und Überraschung darüber zum Ausdruck, dass die Studierenden sich bereit erklärt hatten, an der Präsentation der Semesterarbeit mitzuwirken. Danach begann Michelle Damm mit einem gereimten Vortrag über Franziska Michel. Geboren 1873 als Franziska Schiff in Gladenbach, zog sie mit ihrem Mann Hermann 1908 nach Gießen, wo sie in der Bleichstraße 24 (heute 28) eine Buchhandlung betrieb. 1934 wurde Franziska und Hermann Michel der Weiterbetrieb ihrer Unternehmen untersagt. 1941 flüchtete Franziska vor den Repressalien, denen Juden auch weiterhin ausgesetzt waren, in den Tod.

Dem Schicksal von Elisabeth Will widmete sich Niuscha Plikat. In Wien als Elisabeth Klein geboren, studierte sie zunächst dort Germanistik und Musikgeschichte, bevor sie eine Ausbildung zur Erzieherin absolvierte. Auf einem Ball lernte Elisabeth den Maler Heinrich Will kennen. Als Mitglied des »Freitagskränzchens«, dem »Kaufmann-Will-Kreis«, wurde sie von der Gestapo-Agentin Dagmar Imgart verraten und zunächst zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Am 7. Dezember 1942 wurde Elisabeth Will nach Auschwitz deportiert und ermordet.

In der Broschüre stellen die Studierenden zunächst mit Esther Stern, Hedwig Burgheim, Rosa Sonneborn, Franziska Michel und Lotte Herz beispielhaft fünf Frauen vor, die wegen ihres jüdischen Glaubens verfolgt wurden. Frieda Vogel wurde als Sozialdemokratin politisch verfolgt, Antonie Klein und Anna Mettbach wurden von den Nazis als »Zigeunermischlinge« respektive »Zigeuner« klassifiziert und ebenfalls in Konzentrationslager verschleppt.

Ein Kapitel befasst sich mit psychisch erkrankten Frauen und Zwangsarbeiterinnen, in drei anderen Kapiteln werden die Biografien von Mitläuferinnen und Täterinnen exemplarisch skizziert. Das letzte Kapitel setzt sich mit dem »Kaufmann-Will-Kreis« sowie den zwei bekanntesten Widerstandskämpferinnen Gießens, Ria Deeg und Mildred Harnack-Fish auseinander.

Ria Deeg wurde als überzeugte Kommunistin bereits 1934 erstmals verhaftet und wegen des Erstellens und Verteilens von Flugblättern zu zweieinhalb Jahren »Zuchthaus« verurteilt. Nach dem Krieg gründete sie mit anderen die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes«. Ihre kommunistische Überzeugung, zu der sie sich stets bekannte, verhinderte über Jahrzehnte die Anerkennung ihres mutigen Widerstands durch staatliche Stellen. Die CDU bezeichnete Ria Deeg etwa als »kritiklose, glühende Verehrerin Stalins« und stimmte gegen eine Würdigung in der Reihe der »Gießener Köpfe«. Die Broschüre kann bestellt werden: per E-Mail an randi.l.becker@sowi.uni-giessen.de.

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