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»Die Ware ist eine Bombe«

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Im externen Gerichtssaal am Stolzenmorgen ging die Verhandlung im Drogenprozess weiter. Foto: Czernek © Czernek

Gießen. »Die Ware ist eine Bombe« - diese und ähnliche Nachrichten schrieben sich die Nutzer über Sky-ECC und wickelten über die illegale Internetplattform eine Vielzahl von Drogenschäften ab. Wegen dieser Tatvorwürfe müssen sich zurzeit ein Gießener Geschäftsmann sowie zwei weitere Männer vor der siebten Strafkammer des Landgerichts in Gießen verantworten.

Aufgeflogen waren die Machenschaften durch das Hacken der entsprechenden Server und der verschlüsselten Daten im Darknet.

Anhand dieser Daten und durch weitere Ermittlungen erfolgte schließlich die Zuordnung der Polizei, welche Person sich hinter welchem verschlüsselten Handy befindet. So ordneten die Beamten Nutzerkennungen dem Hauptangeklagten, einem unbekannten Drogenhändler und einem Anführer eines mazedonischen Clans zu. Diese Rückschlüsse und weitere Ermittlungsergebnisse werden von den Verteidigern bestritten. Ihrer Meinung nach war die Erhebung, die Auswertung und die Verwendung illegal. Zudem gehen sie davon aus, dass die Akten samt Daten nicht vollständig seien. Dies bemängelten sie mehrmals im Prozessverlauf.

Die Sky-ECC-Daten wurden nicht von deutschen Behörden abgegriffen. Frankreich, die Niederlande und Belgien hatten eine gemeinsame Ermittlungsgruppe zusammengestellt ein »Joint Investigation Team« (JIT), die den Datenverkehr überwachten und die Daten sammelten. Das JIT übermittelte sie an Europol und diese Behörde stellte diese weiteren Länderbehörden zur Verfügung. Darüber gab der Leiter der Besonderen Aufbau-Organisation (BAO) »Baldur« beim Bundeskriminalamt (BKA) am Freitag Auskunft. Im März 2021 seien die verdeckten Ermittlungen beendet gewesen. Anschließend konnten auch deutsche Behörden zugreifen auf den Datenbestand, der Chatverläufe, Sprachnachrichten und Fotos von Drogen und Schmuggelverstecken beinhaltete.

Allerdings räumte der Beamte auch ein, dass die Chatverläufe nicht immer komplett gewesen seien, sodass man von machen Unterhaltungen nur eine Seite habe lesen können. Als mögliche Ursache dessen nannte er, dass die Daten über mehrere Server gelaufen wären und nicht alle seien gefunden und gehackt worden.

Was jedoch die Inhalte der Chatverläufe waren, wie und was die einzelnen Personen miteinander kommunizierten, darüber berichtete am Freitag die Beamtin, die die Chatverläufe inhaltlich auszuwerten hatte. Sie kam zu Ergebnis, dass man anhand der Gespräche drei Verkaufsverhandlungen über Drogen identifizieren konnte, die - laut ihrer Einschätzung - auch durchgeführt worden seien. Zur Qualität der Waren befragt, zitierte sie aus den Nachrichten: »Die Ware ist eine Bombe«. Zudem soll der Hauptangeklagte auch eine größere Bargeldsumme von Barcelona nach Las Palmas transportiert haben, dort soll er sie einem Kurier übergeben haben, um diese von dort aus nach Split zu bringen.

»In den Chatverläufen wurde sehr viel über weitere Drogengeschäfte gesprochen, jedoch konnte wir diese nicht zuordnen, ob sie auch durchgeführt worden waren. Anders sieht es bei drei Chatverläufen aus: Da konnte sie konkrete Daten, Uhrzeiten und Übergabeorte einander zuordnen. Allerdings musste sie bei der Frage des Rechtsanwalts Andreas Milch passen, als er sie fragte, ob anhand dieser Chats auch ein konkreter Drogenfund erzielt wurde. »Das ist mir nicht bekannt«, lautete ihre Antwort.

Laut diesen Auswertungen habe der Hauptangeklagte vor allem die Geschäfte organisiert, Kuriere geschickt und über die Preise verhandelt. Da für die einzelnen Drogen Synonyme wie »schwarzes«, »braunes« oder »weißes« verwendet wurden, oblag es der Erfahrung der Beamtin, dies entsprechend zu identifizieren und zu benennen. Ein Fakt, der von der Verteidigung als sehr kritisch angesehen wurde, da sie ihr unterstellten, dass sie ihre Bewertungen als Fakten darstellen würde und nicht genügend darauf hinwies, dass es sich dabei um ihre eigenen Interpretationen handele.

Entsprechend unterschiedlich legten die beiden Rechtsanwälte Philipp Kleiner und Carsten Marx einzelne Passagen aus. Ein Versuch, die Glaubhaftigkeit der Zeugin zu erschüttern. Zuletzt beantragte Rechtsanwalt Tomasz Kurcab erneut die Aufhebung beziehungsweise die Aussetzung des Haftbefehls gegen den Gießener Geschäftsmann. Als Begründung hierfür führte er an, dass er mehr als 30 Jahre in Gießen lebe und hier familiär verwurzelt sei. Zudem warf er dem Gericht eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes vor, sodass für seinen Mandanten, der sich seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft befände, eine weitere Haftdauer unzumutbar wäre.

Sein Mandant wäre zudem bereit, sich sämtlichen möglichen Auflagen zu unterwerfen. Im Übrigen verwies er auf Zeitungsberichte ausländischer Medien, in denen sein Klarname genannt worden sei. Daher sei im Hinblick auf mögliche Vergeltungsmaßnahmen zu überlegen, ob Polizeischutz für ihn und seine Familie denkbar wäre.

Eine Entscheidung des Gerichts steht noch aus.

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