»Diese Hurra-Stimmung bei uns im Land irritiert mich«
Ich bin gerade aus der Ukraine zurückgekehrt, das war mittlerweile der 31. Konvoi von »Global Aid Network« (GAiN). Insgesamt haben wir bislang 100 Lkw-Ladungen an Hilfsgütern in die Ukraine gebracht, weitere 60 haben wir zu Kriegsflüchtlingen in Polen, Ungarn, Rumänien oder Moldawien transportiert. Gleich in den ersten Kriegstagen bin ich selbst mit einem Hilfskonvoi in die ukrainische Stadt Rifne gefahren.
Dort haben wir mittlerweile ein großes Logistikzentrum aufgebaut, von dem aus unsere Hilfslieferungen von einheimischen Helfern weitertransportiert werden, zum Beispiel ins belagerte Bachmut. Ich bin selbst inzwischen auch in Orten wie Butscha, Irpin oder Borodjanka gewesen.
Das erste Mal war ich schon 2019 in Charkiw. Damals besuchte ich ein Fußballspiel der Eintracht gegen Schachtar Donezk gesehen, was heute ja geradezu surreal anmutet. In Charkiw wurde nur Russisch gesprochen. Jetzt lernen dort die Menschen Ukrainisch. Wenn Putin etwas mit seinem Überfall erreicht hat, dann ist das die Schaffung einer ukrainischen Nation, die es so in dieser Form vorher eigentlich nicht gegeben hatte. Aber sein Krieg hat jetzt die unterschiedlichen Gruppen des Landes zusammengeschweißt.
Die Menschen in der Ukraine sind weder müde noch mürbe. Sie glauben nach wie vor an den Sieg. Ich fürchte aber, dass sie diesen nicht erringen werden. Dafür sind die Kräfteverhältnisse viel zu unterschiedlich. Wir hören in unseren Medien immer von den großen russischen Verlusten in diesem Krieg, aber nie von den nicht minder großen ukrainischen Verlusten. Über militärische Hilfe aus dem Westen wird bei uns zwar viel diskutiert, sie ist letztlich aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein und wird zu spät in der Ukraine eintreffen. Ich bin weder schuld an der US-Politik noch an Putins Agenda. Was ich tun kann, ist, den Betroffenen zu helfen, die nichts dafür können, dass ihr Land verwüstet wird. Was mich irritiert, ist die Hurra-Stimmung in diesem Land. Die hatten wir schon zweimal im vergangenen Jahrhundert und offenbar nichts daraus gelernt. Das finde ich erschreckend. Dieser Krieg kann nur durch einen Kompromiss enden. Aber ich fürchte, es wird noch viel Blut fließen, bis sich diese Einsicht durchsetzt.