Diesmal soll es lauter werden

Ein breites Bündnis erinnert am Mittwoch an den Jahrestag der Morde von Hanau und kritisiert deren zögerliche Aufarbeitung durch die Behörden.
Gießen. Am 19. Februar jährt sich zum dritten Mal der Tag, an dem ein psychisch kranker, in rassistischen Wahnvorstellungen gefangener Mann in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund und seine eigene Mutter erschoss. Wie schon in den vergangenen Jahren nimmt das ein breites Bündnis von Parteien, Verbänden und antirassistischen Initiativen zum Anlass für eine Gedenkveranstaltung, die vier Tage vor dem Jahrestag auf dem Berliner Platz stattfinden soll. Deren Programm stellten nun Desiree Becker, Jugendbildungsreferentin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Teresa Gimbel vom Antidiskriminierungsnetzwerk Mittelhessen (AdiNet) und Tim van Slobbe, Vorsitzender des Kreisausländerbeirats, im Gewerkschaftshaus vor.
»Unser Protest soll in diesem Jahr lauter werden«, betont Becker. Habe früher die Trauer im Mittelpunkt gestanden, sollen diesmal auch das Versagen der Behörden im Vorfeld der Tat und die zögerliche Aufklärung der Ungereimtheiten des Polizeieinsatzes in der Tatnacht thematisiert werden. Dass Akten wie schon im NSU-Untersuchungsausschuss entweder gesperrt oder geschwärzt seien, dass der Vater des Täters, der dessen Gedankengut teile und diesen offenkundig beeinflusst habe, noch immer Angehörige der Opfer bedrohe und ein gerichtlich verfügtes Kontaktverbot nicht einhalte, mache sie und viele andere wütend, sagt Becker.
Strukturell habe sich im Umgang mit Rassismus in den nach wie vor eher passiv agierenden Behörden nach dem Anschlag gar nichts geändert, betont auch Tim van Slobbe. Stattdessen habe es einen Anschlag nach dem anderen gegen Ausländer in Deutschland gegeben.
Desiree Becker erinnerte an die Migranten-Debatte nach den Silvesterausschreitungen in Berlin, die dazu geführt habe, dass selbst sozialdemokratische Parteien in dieser Diskussion rechtes Gedankengut in die Gesellschaft getragen und damit Rassismus verstärkt hätten, derweil sich weitere rechte Terrorgruppen in Deutschland ausbreiten könnten, die ähnlich gefährlich seien wie die unlängst festgenommenen Verschwörer aus der Reichsbürger-Szene. Auch gegen diese »raumgreifende Diskursverschiebung nach Rechts« wolle man Flagge zeigen.
Neben einer stillen Gedenkminute und der Möglichkeit, Kerzen zu entzünden, soll außerdem eine Demonstration im Zentrum der Veranstaltung stehen, die am Mittwoch, 15. Februar , um 17.30 Uhr am Berliner Platz beginnt. Von dort werden die Teilnehmer über die Südanlage zum Elefantenklo und dann durch den Seltersweg zurück zum Berliner Platz ziehen.
Tim van Slobbe betont, dass der Fokus der Reden auf die Betroffenen gelegt werden soll. Angekündigt sind bereits Beiträge der Ausländerbeiräte aus Gießen und dem Kreis, vom Verein »an.ge.kommen«, vom Studierendenverband der Sinti und Roma, von Vertretern der muslimischen und der Jüdischen Gemeinde sowie von der »Antifaschistischen Revolutionären Aktion Gießen - ARAG Antifa«. Nicht zuletzt wird auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher ein Statement abgeben.
Getragen wird das Bündnis unter anderem von den Parteien der Rathaus-Koalition - Grüne, SPD und Gießener Linke - sowie deren Jugendverbänden, der Gewerkschaft Verdi, dem DGB, dem Asta der Justus-Liebig-Universität und den »Omas gegen Rechts«.
Tim van Slobbe erklärt, dass man das Gedenken auf Bitten der Initiativen in Hanau vier Tage vor den Jahrestag des Attentats gelegt habe, damit auch auswärtige Besucher am 19. Februar nach Hanau kommen könnten. Den Termin habe man überdies bewusst vor den Höhepunkt der laufenden Karnevalskampagne gelegt, weil diese einen unpassenden Kontext für eine Gedenkfeier abgeben würde. »Das wollten wir vermeiden.«