Drei Wahrheiten
Gießen . Dieses Format irritiert doch immer wieder ein bisschen: Kindertheater am Sonntag um 16 Uhr - und kaum ein Kind ist da. Dafür viele Theaterleute und Pädagogen. Immerhin ist das Stück auch für den Besuch von Schulklassen konzipiert, der Nachwuchs fehlt bei der Premiere als sachkundiges Publikum aber doch.
»Erna und die drei Wahrheiten« heißt das Schauspiel für Zuschauer ab elf Jahre, das jetzt im Kleinen Haus des Stadttheaters Premiere feierte. Das Stück nach dem Kinderbuch von Anke Stelling, für die Bühne bearbeitet von der Künstlerischen Leiterin des Jungen Theaters, Mathilde Lehmann, wird in einer Uraufführung gezeigt und erzählt Alltagsgeschichten aus der Schule und der Familie.
Es gibt immer drei Wahrheiten, sagt ein chinesisches Sprichwort: Meine, deine und DIE Wahrheit. Die Frage ist: Will man wirklich immer alles wissen? Warum also steckt im Wort »Gemeinschaft« auch »gemein«? Erna ist ein wissbegieriges, aufgewecktes Mädchen und schlägt diese Frage gleich in einem etymologischen Wörterbuch nach. Sie besucht eine Gemeinschaftsschule, in Hessen eher Gesamtschule genannt, wohnt in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt und kann alle Songs von ABBA auswendig. Nachdem beim Schulfasching jemand die Toiletten verstopft hat, ergreift die Schulleitung drastische Maßnahmen: Ab sofort muss man sich in eine Liste eintragen, wenn man aufs Klo will. Erna weiß, wer für den Vandalismus verantwortlich war - aber soll sie es auch verraten?
Ensemble sorgt für Glanzpunkte
Inszeniert wird das Stück von Kirsten Eschner, langjährige Regieassistentin des Stadttheaters, die damit ihre Abschlussarbeit präsentiert. Das Bühnenbild stammt von Kristin Buddenberg, die Kostüme von Denise Schneider. Für Glanzpunkte des Nachmittags sorgt die Ensembleleistung. Vor allem die drei Schauspielerinnen gewinnen sofort die Sympathie des Publikums. An der Spitze wieder einmal Izabella Radic, die als Titelfigur Erna die Freuden und Leiden einer Elfjährigen sofort nachvollziehbar macht. Auch ihre Freundinnen/Kontrahentinnen/Erzieherin sind mit Zelal Kapçik und Dascha Ivanova hervorragend besetzt. Die Drei haben richtig Spaß auf der Bühne und genießen es, sich in die Rollen von kichernden Teenies zurückzuversetzen. Ihre drei männlichen Kollegen haben weniger Möglichkeiten, sich auszuzeichnen. Ihre Rollen geben nicht so viel her: Sie bleiben eher im Hintergrund, wenn sie nicht gerade als Schüler (Ben Janssen und Levent Kelleli) mit Klopapier die Toiletten verstopfen oder als Lehrer (Stephan Hischpointner) Moralvorträge halten.
Denkt man an die jüngsten Gießener Jugendstücke »Kriegerin« oder »Luft nach oben« zurück, so ist das Bühnenbild diesmal wenig eindrucksvoll. Bonbonfarbene Bauelemente im Stil von überdimensionalen Legosteinen schaffen keine Fantasiewelten. Einen Hingucker hat dafür Kostümbildnerin Denise Schneider kreiert: Eine wilde Mischung aus Schlaghosen, Hüten und bunten Jacken erinnert an die 70er Jahre. Am Ende der Vorstellung gab es viel Applaus für alle Beteiligten.
Nächste Familien-Vorstellungen: 29. Mai, 3. und 11. Juni, jeweils um 16 Uhr.