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»Drogensucht als Krankheit begreifen«

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Francesco Arman hat die Drogenszene im Blick. Heute Abend steht er als hauptamtlicher Stadtrat zur Wahl. Foto: Scholz © Scholz

Für den Gießener Stadtrat Francesco Arman ist eine Politik wichtig, die nicht auf Herkunft und sozialen Status achtet. Heute Abend stellt er sich im Parlament zur Wahl für ein Hauptamt.

Gießen. Als sich die Situation rund um die Drogenszene an der Lahn im Dezember verschärft, reagiert die Stadt. Ein Unterschlupf unterhalb der Sachsenhäuser Brücke wird geschlossen - und die Szene zerstreut sich. Hat sich das Problem damit grundsätzlich erledigt? Wie geht die Stadt generell mit dem Thema Drogensucht um? Sozialdezernent Francesco Arman sieht Gießen auf einem guten Weg. Und er plädiert dafür, Sucht als Krankheit zu begreifen. Heute Abend bewirbt sich der Politiker der Gießener Linken im Stadtparlament um die Position als hauptamtlicher Stadtrat.

Ist die Drogenszene in der Stadt ein großes Problem?

Angehörige des Runden Tischs »Zusammenleben in der Innenstadt« haben mir rückgemeldet, dass sich die Drogenszene und speziell die Crackszene weitgehend aufgelöst haben. Diese Rückmeldung unter anderem von Gemeinwesen- und Straßensozialarbeit verstehe ich als positives Signal. Grundsätzlich ist das Drogenproblem - wenn wir von einem Problem reden - ein Problem von Menschen, die suchtkrank sind.

Würden Sie das bitte näher erläutern?

Oft nimmt die Gesellschaft diese Menschen als Problem wahr. Dabei sind sie suchtkrank und brauchen Hilfe. Das bedeutet nicht, dass ordnungspolitische und polizeiliche Begleitung verzichtbar sind. Insgesamt glaube ich aber, dass wir in Gießen auf einem guten Weg sind. Das melden mir Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeiter zurück.

Wie kommt es zu Entscheidungen wie jüngst zur Crackszene an der Lahn?

Es waren alle Akteure dabei, die mit der Entscheidung etwas zu tun haben: der Oberbürgermeister, der Bürgermeister und ich als Sozialdezernent. Die Polizei war involviert, die Straßensozialarbeit, das Ordnungsamt sowie das Suchthilfezentrum. Wir haben die Sachlage bewertet und sind gemeinsam zu der Entscheidung gekommen, dass wir den Platz an der Lahn sperren müssen.

War die Crackszene hier ein neues Phänomen?

Ich bin der Meinung, dass der Crackkonsum nicht erst seit dieser Situation da ist. Es gab ihn schon vorher, aber ich glaube, dass er sich zuletzt ein bisschen verschärft hat. Die genauen Ursachen dafür kenne ich nicht.

Gibt es Ansätze der Stadt, der Drogensucht auf der Ebene von Krankheit zu begegnen?

Ja. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das Suchthilfezentrum in der Schanzenstraße. Dort befasst man sich mit mehreren Formen der Sucht. Die Mitarbeiter beraten auch zu nicht stoffgebundener Sucht wie Spiel- oder Kaufsucht. Aber natürlich gibt es auch Angebote zu stoffgebundener Abhängigkeit etwa von Alkohol oder, im schlimmsten Fall, von Heroin. Die spannende Frage ist: Wie können diese Angebote greifen?

Wie kann das gelingen?

Man kann sich noch so gut aufstellen: Das alles hilft nichts, wenn die Klienten nicht mitmachen. Vereinfacht gesagt: Ein Klient muss sein Leben ändern wollen - egal, ob wir über Crack oder andere Drogen sprechen. Diesen Wunsch können Einrichtungen unterstützen, wenn die Mitarbeiter eine Beziehung zu diesen Menschen haben. Dafür sind Suchthilfezentrum, Straßensozialarbeit und Arbeiterwohlfahrt besonders wichtig.

In großen Städten gibt es sogenannte Druckräume. Gibt es in Gießen Bedarf?

Abschließend kann und möchte ich das nicht beantworten. Denn das kann nur ein Kreis von Fachleuten. Ganz allgemein gesagt: Gießen wächst und wird urbaner. Jede wachsende Stadt hat urbane Begleiterscheinungen. Während es in Dörfern Formen der sozialen Kontrolle gibt, ist sie in Städten wie Gießen nicht so ausgeprägt. Die Stadt kann deshalb auch Menschen anziehen, die der sozialen Kontrolle entfliehen wollen.

Welche Bedeutung hat das Thema Drogensucht für Ihre politische Arbeit?

Eine sehr große, weil ich der Auffassung bin, dass Menschen, die drogensüchtig, obdachlos, Trinker oder Straßen-Punks sind, auf der untersten Stufe der gesellschaftlichen Leiter stehen. Wir müssen uns damit auseinandersetzen. Und wir müssen uns als Stadtgesellschaft und Politik daran messen lassen, wie wir mit diesen Menschen umgehen.

Haben Sie persönlichen Kontakt zu diesen Szenen?

Die Menschen suchen das Gespräch mit mir. Vor Kurzem war jemand aus der Obdachlosenszene bei mir vor dem Büro, um mir zur neuen »Brücke« ein paar Verbesserungsvorschläge zu machen. Er hat mir seine Ideen zu der Obdachloseneinrichtung auch handschriftlich überreicht. Ich nehme das mit in den Austausch und lasse seine Vorschläge einfließen. Mal schauen, was man umsetzen kann. Entscheiden muss aber die Diakonie.

Gibt es weitere Beispiele?

Ich habe in meinem Bereich mit Menschen zu tun, die starke psychosoziale Auffälligkeiten aufweisen. Ich stehe zum Beispiel in ständigem Kontakt mit einer älteren Frau, die unter Schizophrenie leidet, bei der »Oase« angebunden war und jetzt im Landkreis untergebracht ist. Sie berichtet mir von ihren Sorgen und Nöten. Oft werde ich auch in der Nordstadt von Menschen angesprochen, weil sie mich und meine Funktion kennen. Da ich vom Grunde her ein offener Mensch und kein Freund von künstlichen Hierarchien bin, ist es mir wichtig, mit diesen Menschen im Austausch zu sein. Egal, woher sie kommen oder welchen sozialen Status sie haben. Nur so kann meines Erachtens eine gute Sozialpolitik gelingen.

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