Droht Blackout durch Heizlüfter?

Die Angst vor Gas-Engpässen im Winter sorgt auch in Gießener Baumärkten bereits im Sommer für einen Nachfrageboom bei Heizlüftern, Elektro-Öfen und Co.
Gießen. »Ball Paradox« in Gießens Baumärkten: Während bei tropischen Temperaturen die Nachfrage nach Ventilatoren derzeit eher überschaubar ist, erleben Obi und Bauhaus einen Ansturm auf Heizlüfter oder Radiatoren. Angesichts drohender Lieferengpässe in der Gasversorgung und der Mitte Juni von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ausgerufenen Alarmstufe des Notfallplans für die Gasversorgung sorgen viele Bürger vor.
»Heizlüfter sind momentan absolute Mangelware«, sagt eine Sprecherin der Obi-Filiale Gießen-West. Und das werde auch auf absehbare Zeit so bleiben, denn die Lieferfristen für Heizlüfter und andere Elektro-Öfen würden immer länger. Ähnlich beschreibt ihr Kollege in der Filiale im Schiffenberger Tal die Lage. Man habe den größten Teil der Heizlüfter bereits verkauft, obwohl für solche Artikel eigentlich keine Saison sei. Genau in die Karten schauen lassen will sich keiner der Gießener Baumärkte, aber der Obi-Mitarbeiter spricht von Elektro-Öfen-Verkäufen im »hohen zweistelligen Bereich«. Hinzu kämen noch zahlreiche Online-Reservierungen. Und auch eine Bauhaus-Sprecherin beantwortet die Frage nach elektrischen Heizgeräten kurz und knapp mit zwei Worten: «Alles weg!«
Kaum Chancen mehr in diesem Jahr
Zeitgenossen mit mehr Geld könnten jetzt vielleicht mit dem Gedanken spielen, die Wärmeversorgung des eigenen Hauses auf die von der Bundesregierung favorisierte Wärmepumpe umzustellen, doch die wird ihn in Gießen kaum über den Winter bringen. Den Zahn zieht ihm Sascha Reitz, Obermeister der Innung für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Er findet dabei deutliche Worte: »Ich bin jetzt seit 30 Jahren im Beruf, aber so etwas haben weder ich noch meine beiden Vorgänger in der Innung je erlebt.« Im Heizungshandwerk fehle es derzeit an allem: Personal, Material und Ersatzteilen. »In Deutschland waren wir es gewohnt, über Nacht beliefert zu werden und dementsprechend verwöhnt. Nun dauert es vier bis zwölf Wochen, bis eine Wärmepumpe da ist.« Zudem übersteige die Nachfrage die Kapazitäten der Handwerksbetriebe bei weitem. »Wir haben schon alle Mitarbeiter von anderen Aufgaben wie Badsanierungen abgezogen und bauen nur noch Heizungen ein«, sagt Reitz. Doch wer jetzt erst anfrage, habe kaum noch eine Chance, in diesem Jahr dranzukommen.
Obendrein befinde sich die gesamte Branche in einem gewaltigen Umbruch. Der Hersteller Vaillant etwa habe bislang pro Jahr sieben Millionen Wärmepumpen und eine Million Gasöfen produziert. Inzwischen werde dieses Mengenverhältnis umgekehrt. »Und da ist es nicht damit getan, dass ein paar Mitarbeiter umgesetzt werden. Da müssen ganze Produktionsstraßen umgebaut werden.« Als wäre das alles nicht genug, habe dann auch noch »unser Superminister Habeck« die KfW-Förderung für Heizungsumbauten ohne Vorwarnung abgesenkt. Die betrage derzeit 35 Prozent der Investitionssumme, gelte aber nur noch für Anträge, die bis zum 15. August gestellt werden. »Wir haben da ja mittlerweile eine gewisse Routine, brauchen aber dennoch sechs bis acht Wochen für einen Förderantrag«, meint Reitz. Und fügt hinzu: »Da können Sie sich selbst ausrechnen, wie groß Ihre Chance ist, noch bis zum 15. August die volle Förderung zu bekommen. So zerstört man Vertrauen.« Die Planungssicherheit sei jedenfalls in Gänze weg.
Verschärft werde die ganze Problematik durch den Fachkräftemangel. In der Politik werde darüber diskutiert, die Ausbildungszeiten im Handwerk zu verkürzen. »Wir brauchen aber in dem großen Technologie-Umbruch eher besser ausgebildete Fachleute. Hilfsarbeiter haben wir genug.«
Stresstest fürs Gießener Stromnetz
Ob nun Wärmepumpe, Heizstrahler, Radiator oder Heizdecke: Alle diese Gas-Alternativen eint, dass sie Strom verbrauchen - Strom der, nebenbei bemerkt, hierzulande auch aus Gas gewonnen wird. Nun ist Strom aber nicht nur die mit Abstand teuerste Form der Wärmegewinnung; der Großeinsatz jener Geräte, die in Gießens Baumärkten gerade wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln weggehen, könnte unser Stromnetz schnell an seine Grenzen führen. Davor warnen Branchenverbände. »Wir sehen die aktuelle Entwicklung mit einiger Sorge, da unsere Stromversorgung für eine derartige gleichzeitige Zusatzbelastung nicht ausgelegt ist«, heißt es vom Verband für Elektrotechnik (VDE). Da die Heizgeräte einfach an eine Haushaltssteckdose angeschlossen würden, könnten sie - im Gegensatz zu elektrischen Wärmepumpen oder Nachtspeicher-Heizungen - im Falle von drohenden Netzüberlastungen auch nicht vom Netzbetreiber abgeschaltet werden.
Wie ernst die Stadtwerke Gießen die Gefahr eines Blackouts nehmen, zeigt die Tatsache, dass sie derzeit gemeinsam mit der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) einen Stresstest für das Gießener Stromnetz durchführen. Dabei wird durchgespielt, wie sicher die Versorgung noch ist, wenn 25, 50 oder 75 Prozent des Stroms für die Wärmegewinnung genutzt werden. Mit Ergebnissen ist ab dem 15. August zu rechnen.