Durch Paris mit Belmondo und Deneuve

Gießen. Eins der verlässlichsten kreativen Feuer in der Region brennt im Busecker Hans-Michael Kirstein. Der Grafikdesigner und Comiczeichner legt nun eine neue Serie von szenischen Kurzerzählungen vor, in der er die französische Hauptstadt und diverse Zeitgenossen in einer typisch frechen, heiteren Perspektive darstellt: »Lost in France«. Vernissage war jetzt in der Zahnarztpraxis Rupp in der Bleichstraße.
Zur Eröffnung platzten die Räumlichkeiten aus allen Nähten, so viele Freunde und Fans waren gekommen. Der Künstler, seit geraumer Zeit auch als Hochschuldozent in seinem ureigensten Fach an der TH Gießen tätig, ist als Karikaturist und Porträtzeichner in der Region nicht nur bestens bekannt, sondern auch fest verwurzelt. Nicht zuletzt hat er als Laudator in zahllose Vernissagen eingeführt, wobei er stets Ironie und Sachkenntnis zu einer unterhaltsamen Melange zu verbinden weiß.
Zu seinen wichtigsten Inspirationsquellen gehört die Freundschaft mit dem belgischen Großmeister der Comic-Kunst, Hermann Huppen, der auch schon in den Praxisräumen zu Gast war. Mit ihm produzierte er den Comicband »Das unglaubliche Leben des Nylonmanns«, bei dem Kirstein als Autor der Geschichte fungierte.
Worum geht es diesmal? Kirstein (»Ich bin ein hessischer Calvinist aus Alten Buseck«) stellte »Lost in France - Les tribulations d’une tour d’Eiffel en tour«, frei übersetzt »Die Abenteuer eines Eiffelturms unterwegs« vor. Das Werk kombiniert die Neigung des Künstlers zu Filmen (»Lost in translation«) und sprachlichen Synthesen sowie freien bis im besten Sinne übergeschnappten Assoziationen.
Die Schau basiert auf einer unfertigen Idee, die Kirstein vorgetragen wurde: den Eiffelturm einmal von oben zu zeichnen. So wurde die Figur des anthropomorphen Eiffelturmmännchens (»Jean d’Eiffel«) geboren, der Mensch gewordene Turm, der nun durch die Bilder hüpft oder fliegt. Hinzu kam die Verknüpfung mit typisch französischen Klischees wie Menjou-Bärtchen und Baskenmütze. Und es tauchten einige Typen auf, »die man auch einem frankophilen Setting zuordnen konnte«.
Hinzu kam »ein seriöses Drehbuch« und die Rollen wurden gecastet. Wie immer bei Kirstein schimmern neben lokalen Prominenten auch bekannte Gesichter aus der Filmwelt durch die Szenen. Etwa Jaques Brel, Catherine Deneuve oder der gealterte Paul Belmondo, der machohaft charmant in einem Kinoeingang lehnt. »Ich bin nur der Chronist einer bestimmten Lebenshaltung, und die ist halt sehr frankophon«, sagte Kirstein.
Die gezeichneten Tableaus bilden keine zusammenhängend erzählte Geschichte, vielmehr sind sie jeweils selbst kleine szenische Stories. Mit kräftigem Strich beutet Kirstein seine Modelle zugunsten diverser optischer ironischer Gags ungeniert aus, streut film- und andere historische Aspekte und nicht zuletzt beliebte Frankreichklischees ein und realisiert das versiert mit einem verblüffenden optischen Schwung. Es ist auch ein Blick in eine fantastische, vielgestaltige Lebenshaltung, die nicht nach Perfektion strebt, dafür aber höchst charmant, und nicht zuletzt auf eine sehr menschliche Weise heiter. Eine Quelle, die munter weiter sprudelt.