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Auf den Plakaten an den Eingangstüren steht noch »Warnstreik«. Aber seit Montag ist das UKGM-Pflegepersonal im zeitlich unbefristeten Ausstand. Foto: Berghöfer

Eigentlich alles wie immer

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Am ersten Tag des unbefristeten Streiks des Pflegerpersonals um UKGM hat der Ausstand in Gießen noch wenig Auswirkungen

Gießen . »Ich warte hier schon seit 8 Uhr, aber das ist ja normal«, sagt die 78-jährige Rentnerin im Wartebereich der Kardiologie des Universitätsklinikums Gießen Marburg (UKGM). Die elektronische Anzeige, unter der sie eher gelangweilt in Illustrierten blättert, preist auf Wechseltafeln die Kompetenz des UKGM an, die Uhrzeit zeigt sie nicht; sonst würden auf dem Display die Zahlen 14:05 leuchten. Nein, von dem Streik habe sie noch nichts bemerkt, meint die Frau, die auf die Ergebnisse ihrer Herzuntersuchung wartet. Es sei eigentlich wie immer. Mehr als der Streik im Klinikum ärgert sie der des Bahnpersonals. Wegen dem sei sie extra eine Stunde früher gekommen, weil sie fürchtete keinen Platz mehr im Parkhaus zu bekommen. »Das gibt am Ende eine ordentliche Rechnung im Parkhaus«,

Geht man an diesem Montagmittag durch das Hauptgebäude des Klinikums, sieht eigentlich alles aus wie immer. Patienten sitzen geduldig auf Stühlen, Ärzte laufen geschäftig durch lange Flure. Der an diesem Tag begonnene unbefristete Ausstand des Pflegepersonals macht sich nur durch die im Eingangsbereich aufgestellten Verdi-Fahnen und Streikplakate an den Wänden bemerkbar. Nur wer hier jeden Tag arbeitet, merkt einen Unterschied.

»Eigentlich ist es heute so ruhig wie noch nie im Klinikum«, meint eine junge Internistin, die gerade mit Kollegen aus anderen Abteilungen ihre Mittagspause macht.

»Alles so ein Durcheinander«

Im Tiefgeschoss in der Notaufnahme wartet Coline Stöckel seit 11 Uhr darauf, dass ihr Schwiegervater stationär aufgenommen wird. Der hat Atemprobleme. Zunächst habe man die Sauerstoffsättigung in seinem Blut gemessen, seitdem sei aber nichts mehr passiert. Die 35-Jährige berichtet, dass diese Untersuchungen eigentlich schon gestern Abend gemacht worden seien. Doch nach dem Schichtwechsel seien die Ergebnisse nicht mehr zu finden, deshalb müssten die Untersuchungen nun wiederholt werden. »Das ist alles so ein Durcheinander«. Für den Streik des Pflegepersonals hat sie dennoch volles Verständnis. »Man sieht ja, wie unterbesetzt die hier sind.«

Begonnen hat der Streik mit dem Beginn der heutigen Frühschicht. Mit ihm wollen die Pflegekräfte in Gießen und Marburg einen Tarifvertrag Entlastung durchsetzen. Bis zum Dienstag sind zunächst nur ausgewählte Bereiche wie die Operationssäle und die Radiologie im Ausstand. Ab Mittwoch sind dann alle Beschäftigten des UKGM zum Streik aufgerufen. »100 Tage hatte der Arbeitgeber Zeit, die Streiks abzuwenden, und auch jetzt kann er den Streik jederzeit beenden, indem er auf die grundlegenden Forderungen der Beschäftigten eingeht,« erklärt Verdi-Gewerkschaftssekretär Fabian Dzewas-Rehm in einer Pressemitteilung .

Am Freitag war das 100-Tage-Ultimatum der Beschäftigten für einen Tarifvertrag Entlastung abgelaufen. Drei Verhandlungsrunden mit dem Arbeitgeber seien ohne substanzielle Schritte in Richtung Entlastung zu Ende gegangen, meint Dzewas-Rehm.

Ab Donnerstag wird verhandelt

Auf Nachfrage betont er, dass so eine Regelung keineswegs ein Novum in der Branche sei. Andere Krankenhäuser hätten solch einen Tarifvertrag, der sicherstellen soll, dass geleistete Mehrarbeit auch durch entsprechenden Freizeit ausgeglichen wird, bereits abgeschlossen. Vom Klinikum war gestern keine Stellungnahme zu bekommen.

Am Donnerstag, werden die Tarifverhandlungen fortgeführt. Für die Klinikbeschäftigten fordert Verdi unter anderem schichtgenaue Personal-Patienten-Besetzungsregelungen für Stationen und Bereiche, Beschäftigungssicherung für alle Kollegen, sowie eine Verbesserung der Ausbildungsbedingungen. Um einen geordneten Streik zu ermöglichen, hat Verdi sich mit dem Arbeitgeber auf einen Notdienst geeinigt, um die Patientensicherheit zu gewährleisten.

Aber noch läuft auch der Normalbetrieb in vielen Abteilungen weiter. Eine Ärztin, die Kinder mit Diabetes auf die durch ihre Krankheit bedingte Ernährungsumstellung vorbereitet, entschuldigt sich am Montag bei ihren kleinen Patienten weil sie zu spät gekommen ist, und zwar 30 Minuten.