»Eigentlich darf hier nichts passieren«

Bieber+Marburg: Gegner der Erweiterungspläne begutachten Gelände im Gießener Stadtwald und planen weitere Schritte
Gießen . »Wir sind eine Wandergruppe«, sagte Eckhard Schneider, einer der Teilnehmer beim Waldspaziergang vor dem Betriebsgelände von Bieber+Marburg, schon fast entschuldigend. Doch es ist schon ungewöhnlich, dass eine Wandergruppe von zwei Polizeibeamten begleitet wird. Auf dem Betriebsgelände beobachteten derweil drei Beschäftigte argwöhnisch das Treiben auf der anderen Seite des hohen Zaunes. Hintergrund des Treffens, an dem rund 30 Leute beteiligt waren, ist die geplante Erweiterung des Unternehmens, für die rund vier Hektar Stadtwald gerodet werden sollen.
Der »informelle Spaziergang vor Ort«, auf den sich verschiedene Organisationen in einem ersten Schritt verständigt hatten, diene dazu, »gemeinsam die vorhandenen Informationen auszutauschen und ein mögliches weiteres Vorgehen gegenüber dem Magistrat und der Öffentlichkeit zu diskutieren«, hieß es in der Einladung.
Die Initiatoren kritisieren, dass der Magistrat die geplante Erweiterung unterstützt. Die Entscheidung des Stadtparlaments über die Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans steht allerdings noch aus. Die Erweiterung des Betriebsgeländes im Jahr 2009 sei nur unter der Auflage genehmigt worden, dass es »die definitiv Letzte sei«, betonen die Gegner der Pläne. Der Standort sei für eine industrielle beziehungsweise gewerbliche Nutzung ohnehin nicht geeignet.
Dennoch habe der Magistrat ohne Beteiligung der Öffentlichkeit - und auch ohne ein Abweichungsverfahren wie 2009 - bereits dafür gesorgt, dass die erforderliche Fläche im Entwurf des Regionalplans berücksichtigt werde.
Weiterhin wird kritisiert, dass die zuständige Dezernentin Gerda Weigel-Greilich (Grüne) mit Blick auf die Erweiterungspläne gesagt habe, Gießen könne ja keine 2035-Null-Insel werden. »Das wirft weitere Fragen auf, wie ernst der Magistrat die Verpflichtung zur Klimaneutralität überhaupt nimmt.«
Nach einem kurzen Gang entlang des Zaunes, bog die Gruppe links in den Wald ab und blieb auf der Hälfte des 300 Meter langen Weges entlang des Betriebsgrundstückes stehen. »Wir stehen hier auf dem Gelände, wo gefällt werden soll ab November bis Februar 2023«, klärte Lutz Hiestermann auf. Dabei handle es sich um »vier Hektar Wald in direkter Nähe zur Stadt«, kritisierte der Vorsitzende des Vereins »Lebenswertes Gießen«.
Matthias Korn vom Gießener Arbeitskreis der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) erläuterte, dass 2009 die neuesten Hallen in einem Zielabweichungsverfahren für den Regionalplan entstanden seien. Der Regionalplan habe eigentlich dieses Gebiet als Vorranggebiet für Forstwirtschaft deklariert. »Das heißt: Eigentlich darf hier nichts passieren.«
Korn erinnerte daran, dass die Stadt damals ein Abweichungsverfahren einleitete. Die Genehmigung sei nur unter der Auflage erteilt worden, dass es die Letzte sei. Doch im neuen Entwurf des Regionalplans sei die diskutierte Fläche bereits für Industrie und Gewerbe vorgesehen, so Korn.
Gerade läuft die Offenlegung des Regionalplanentwurfs. Noch bis zum 25 März sind die Träger öffentlicher Belange - so auch die HGON - zur Stellungnahme aufgefordert. Es sei »einiges im Argen«, was die HGON ansprechen will, machte Korn deutlich. Als Ausgleichsmaßnahmen für die damals weggefallene Waldfläche hätten etwa auf dem Sportplatz der Steubenkaserne die Kieselrot-Fläche saniert und Stieleichen auf 15 000 Quadratmetern gepflanzt werden sollen. Der Naturschützer bemängelt: »Ich glaube, ich habe fünf Eichen gesehen«.
»Das ist unterirdisch«, »So was nennt man Spezialoperation« oder »Wir müssen schon mal in die Planung für die Baumhäuser gehen« - das waren nur einige der Kommentare, die während des Rundgangs zu hören waren. »Wir müssen klare Kante zeigten«, forderten die Teilnehmer und fragten nach, wie sie sich denn einbringen könnten. Einzig ein Anwesender ging auf die betriebswirtschaftliche Perspektive für Bieber+Marburg ein: Er sprach einen Umzug des Unternehmens an, der mit einer neuen Infrastruktur einhergehen müsse, deutlich teurer würde sowie sich auf die Ökobilanz auswirke.