Ein Hieb auf die Nase

Ihre Hunde bewahrten Schäferin Martina Brandenburger vor Ärgerem am Bergwerkswald, wo sie 200 Schafe hütete.
Gießen. Martina Brandenburger ging am Donnerstag vergangener Woche beruhigt schlafen, die 200 Schäfchen wohlbehütet eingepfercht wissend. Doch gegen 23 Uhr rumorte es im Bereich Schlangenzahl am Bergwerkswald. Die Schäferin schreckte im Wohnwagen auf, weil die Hunde anschlugen, und schaute am Zaun nach. Drei zwielichtige Gestalten machten sich am Pferch zu schaffen.
Ein Wort gab das andere. Der Disput eskalierte mit einem Faustschlag auf die Nase der 46-Jährigen. Ein unfasslich roher Vorgang. Nur die Hunde Flora, Luna und Mohr als ihre Beschützer bewahrten die Schäferin vor Ärgerem. Einer der dubiosen Typen wurde von ihnen gebissen, sodass die Bagage letztlich unverrichteter Dinge flüchtete.
Ob sie ein Schaf mitnehmen wollten, niemand weiß es. Aus der Nase der Villingerin tropft noch heute ab und zu Blut, so schwer war der Hieb. Die Verletzung wollte die taffe Frau nicht zum Anlass einer Anzeige nehmen, doch der zuständige Revierförster Holger Brusius stimmte sie um, weil er diese Angriffsqualität so nicht kannte. Andere erinnern sich jedoch, dass vor ein paar Jahren schon einmal ein Förster im Bergwerkswald von freilaufenden Hunden angegriffen wurde. Und 1991 ließ eine Studentin hier ihr Leben. Sie wurde an einsamer Stelle erstochen.
Zeugen gesucht
Am Dienstag suchten Förster und Schäferin jedenfalls die Polizei auf. Doch die Beamten machten wenig Hoffnung, dass im Nachgang der Schläger und die anderen Bedroher zu finden sind. Brusius nahm das zum Anlass, den Vorfall öffentlich zu machen. Möglicherweise hat jemand vor einer Woche am 5. Mai gegen 23 Uhr ein zwielichtige Trio gesehen. Er möge sich melden.
Im Bergwerksland, der sich auf Gießener und Lindener Gemarkung, hier zu 80 Prozent befindet, war schon immer viel los.
Verschlungene Pfade gibt es en masse auf 87 Hektar Fläche. Das sind 64 Fußballfelder. Der Freizeitdruck hat mit Corona deutlich zugenommen, war vorher aber schon hoch, sagt Brusius, der seit zehn Jahren den Wald behütet und bei seinen Inspektionsgängen vieles (vor)gefunden hat, was dort nicht hingehört. Ob meditierende Gruppen, amouröse Abenteurer im Dickicht, Müll oder Behausungen von Wohnsitzlosen, Brusius hat viel gesehen und manches mit Fotos dokumentiert. Mountainbiker betreiben hier ihren Sport, Kita-Kinder bauen Budchen und Spaziergänger erholen sich.
Diebeslager gefunden
Einst fand er im Unterholz ein Lager von Fahrraddieben samt zahlloser geknackter Schlösser, Fahrrädern und Teilen davon. »Der Bolzenschneider lag gleich daneben.« Auch Obdachlose finden hier einen Unterschlupf, was an sich weniger schlimm wäre, wenn nicht der Unrat rundherum arge Dimensionen erreichen würde, sagt Brusius. Natürlich sind Feuerstellen keine Seltenheit auf offenen Flächen im Naturrefugium, das einen ganz eigenen Charme für Partys ausstrahlt. Dass große Brandgefahren hier lauern, daran denken die wenigsten im Festrausch.
Zudem läuft der obligatorische Ghettoblaster gerne mal über alle Maßen laut und verschreckt das Wild.
Ganz zu schweigen von unangeleinten Hunden, die durch das Gelände streifen. Auch illegal abgelagerter Müll ist ein Problem, immer wieder müssen Dinge entsorgt werden, die in eine Wald nicht hineingehören. Oder vom Picknick an den Seen bleiben Überreste einfach liegen. Doch der Besuch im Wald als lauschiges Plätzchen für Paare hat auch etwas Gutes, die Geburtenrate steigt, »Wie viele Gießener dort gezeugt werden, das entzieht sich allerdings meiner Kenntnis«, schmunzelt Brusius.
Eigene Regel gehen vor
Als Förster war er schon verbalen Attacken von Waldgästen ausgeliefert, die er wegen ihres Treibens ermahnte. Die Entwicklung mache ihn nachdenklich, denn Regelungen würden einfach nicht mehr beachtet, weil sie eigenen Interessen zuwiderliefen. Aber so funktioniere Gesellschaft nun einmal nicht.