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»Ein intensives Jahr für die Polizei«

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Corona und der Krieg in der Ukraine haben 2022 auch das Polizeipräsidium Mittelhessen beschäftigt. Foto: Scholz © Scholz

Neben der hessenweit besten Aufklärungsquote verzeichnet das Polizeipräsidium Mittelhessen mehr Straftaten, auch in Gießen.

Gießen. Der Stolz auf seine 2151 Mitarbeiter ist Präsident Bernd Paul am Freitag anzumerken. Und er ist nachvollziehbar. Denn mit einer Aufklärungsquote von 67, 5 Prozent im vergangenen Jahr - ohne ausländerrechtliche Delikte sind es 62,5 Prozent - liegen die Mittelhessen an der Spitze der hessischen Polizeipräsidien. »2022: Das war noch Corona und schon Ukraine. Das sind zwei Themen, die die Polizei in hohem Maße beschäftigt, belastet, gekennzeichnet und in weiten Teilen limitiert haben«, blickte der Polizeipräsident bei der Vorstellung der Kriminalstatistik auf das Berichtsjahr zurück. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar hätten Fragen im Zusammenhang mit Ressourcenknappheit und Energieengpässen im Fokus gestanden. »Die massiven Ausschreitungen am 20. August an den Hessenhallen waren der bittere Höhepunkt für Polizei und Stadt«, ergänzte Manfred Kaletsch den Rückblick. Der Abteilungsdirektor Einsatz erinnerte an die zahlreichen Verletzten im Umfeld des eritreischen Kulturfestivals, darunter auch Polizeibeamte.

Gewalt gegen Einsatzkräfte

Im Kontext des Krieges habe sich die Polizei neben ihrer üblichen Arbeit mit Themen wie Energieknappheit befasst, skizzierte Paul in der Retrospektive. »Große Sorge macht mir die Gewalt gegen Einsatzkräfte. Da haben wir noch immer eine viel zu hohe Anzahl. Über 250 Straftaten haben wir im Vergleich zu 300 Taten im Vorjahr«, betonte der Präsident. Insgesamt verzeichnet das Präsidium im letzten Jahr 44 148 Straftaten. Das ist ein Anstieg um 441 Fälle. Nicht eingerechnet sind Taten nach dem Aufenthalts- und Asylverfahrensgesetz.

In Stadt- und Landkreis Gießen sei die Zahl um 203 auf 14 142 Taten ebenfalls angestiegen, erläuterte Mark Weiershausen. Auf die Stadt entfielen fast 64 Prozent der Gesamtstraftaten, so der Leiter der Polizeistation Gießen Nord. Ohne die ausländerrechtlichen Verstöße sind dies 9 014 Straftaten. Im Landkreis angestiegen seien die Fahrraddiebstähle von 414 auf 581 Delikte. In diesem »schweren Ermittlungsbereich« liege die Aufklärungsquote bei 16, 5 Prozent. Die nach wie vor hohe Zahl bei der Drogenkriminalität führe die Polizei auf intensive Kontrollen zurück. Man habe 2022 im Kreis über 1000 Verfahren eingeleitet. Ein Plus um 67 Taten auf 655 Delikte verzeichnet die Statistik bei der Gewaltkrimininalität im Landkreis. 444 der Taten seien in der Stadt verübt worden. Die häuslichen Gewalt erreicht in der Statistik von 2021 im Landkreis 494 Fälle - 2022 waren es 690 Taten.

Ebenfalls vergleichsweise stark angestiegen sind in ganz Mittelhessen die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere im Bereich Kinder und Jugendliche. Während das Präsidium 2021 noch 1326 Fälle verzeichnete, waren es 2022 insgesamt 1574 Taten. Hessenweit hat die Polizei wegen des Anstiegs eine Beratungs- und Hilfehotline eingerichtet, die unter der Telefonnummer 0800 - 5522200 erreichbar ist.

Ausschreitungen an den Hessenhallen

»2022 war für die Polizei ein intensives und auch belastendes Jahr. Das Demonstrationsgeschehen ist ein Beispiel: Wir hatten 2021 unter Corona-Bedingungen mit 400 relativ wenig Einsatzlagen. Im vergangenen Jahr waren es nach der Öffnung über 1300 Demonstrationslagen«, berichtete Kaletsch für Mittelhessen. Er komme nicht umhin, das Highlight im negativen Sinn kurz anzusprechen: Es gehe um den massiven Gewaltausbruch im Rahmen des Eritrea-Kulturfestivals an den Hessenhallen im letzten August. Kaletsch erinnerte an intensive gewalttätige Ausschreitungen, tätliche Angriffe und Sachbeschädigungen. Mittlerweile seien 150 Ermittlungsverfahren eingeleitet und 110 Beschuldigte identifiziert. Die Polizeiarbeit laufe nach wie vor. »Natürlich machen wir eine Bewertung der Gefährdungslage für einen solchen Einsatz«, erläuterte der Direktor auf Nachfrage zum Geschehen am 20. August. Einbezogen worden seien Erfahrungen mit dem seit 2010 veranstalten Eritrea-Festival, um das es nur 2012 Ausschreitungen gegeben habe. »Wir hatten 2022 einige Hinweise aus dem Ausland - aus den Niederlanden oder der Schweiz, wo es auch Eritrea-Veranstaltungen gibt - , dass es da zu Störungen gekommen ist. Deswegen haben wir unseren Einsatz nicht wie die Jahre zuvor mit wenigen Kräften geplant«, so der Abteilungsdirektor. Die Polizei habe Gitter und Hunde eingesetzt und auch die Anzahl der eingesetzten Kräfte entsprechend geplant. Nur mit diesen massiven Ausschreitungen habe niemand rechnen können. »Daher mussten wir Ad-hoc-Kräfte aus ganz Hessen rekrutieren.« Von polizeilicher Seite habe man die Durchführung der Kulturveranstaltung letztlich untersagt, weil zahlreiche Gewalttäter auch aus anderen europäischen Ländern in Gießen angereist seien. Sie hätten Sicherheit gefährdet. »Ich hatte den Eindruck, dass die auf der Seite der Messehalle zu installierenden Sicherheitskräfte nicht vor Ort waren. Die Täter sind in den Angriff übergegangen, als die Messe ihren eigenen Sicherheitsdienst noch nicht installiert hatte«, ergänzte der Polizeipräsident. Bei solchen Einsatzlagen bereite man sich vor und frage auch bei Zentralstellen an. Selbst bei ihnen habe es keine Hinweise gegeben, die in Richtung der schließlich erfolgten Ausschreitungen gedeutet hätten. Die Folgedemonstrationen von Regimebefürwortern und -gegnern im Oktober seien friedlich abgelaufen, fügte Kaletsch hinzu. Derzeit sei die Polizei in Gesprächen mit der Stadt um sich vorzubereiten, falls es 2023 erneut zu einem Eritrea-Festival kommen sollte.

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