Ein luxuriöses Klangerlebnis

Das Universitätsorchester glänzt mit einem originellem Programm in der Kongresshalle. Und der Generalmusikdirektor zeigt sich euphorisiert: »ein volles Haus!«
Gießen. Das Universitätsorchester konnte endlich wieder das Semester mit dem regulären Auftritt abschließen. Universitätsmusikdirektor Stefan Ottersbach präsentierte zusammen mit seinem hochmotivierten Ensemble in der Kongresshalle ein kontrastreiches und niveauvolles Programm, das nicht einfach auf die Gunst des Publikums schielte.
»Es ist herrlich, drei Jahre haben wir und alle Kulturschaffenden gelitten, und jetzt: ein volles Haus!«, freute sich der Universitätsmusikdirektor, als er bei seiner Begrüßung ins Publikum schaute. Los ging es mit leichter Kost und zugleich einem ersten Glanzlicht, Felix Mendelssohn Bartholdys »Die Hebriden«, in dem er eine Seereise zu der gleichnamigen Inselgruppe vor der Küste Schottlands beschreibt. Man spürte im Intro einen sanften, verheißungsvollen Schwung. Feine Streicherelemente wurden differenziert realisiert. Emotional war das wechselnd bewölkt, wie es für eine Seereise typisch ist.
Stefan Ottersbachs Dirigat war tänzelnd engagiert, voller fast ungestümer Energie. Das Orchester, bestens disponiert, folgte ihm sicher, später geradezu leidenschaftlich - man hatte etwas vor. Es kam schließlich zu majestätischer Klangfülle.
Ein anspruchsvoller Teil bestand in Igor Strawinskys (1882-1972) »Symphonies d’instruments à vents« aus dem Jahr 1947. Das hatte einen freien, etwas frechen Auftakt mit lustigen Bläsern, dann etwas verträumte Interaktionen mit leichten Schrägheiten, dann ein etwas suchendes Mäandern und eine aparte Harmonik mit leicht orientalischer Bläseranmutung. Insgesamt ein eher nachdenklicher Duktus, ein Denkanstoß.
Volksfestartige Energie
Ungewöhnlich blieb es mit der »English Folk Song Suite« des britischen Komponisten Ralph Vaughan Williams in drei Sätzen. Das brachte eine volksfestartige Energie und Stimmung ins Geschehen, unterstützt etwa von fröhlichem Flötentirilieren - mitreißend, ein typisch englischer, etwas barocker Drive. Im zweiten Satz ein ordentlicher Schwung fast wie beim Eislaufen, ganz zart und melancholisch. Glanzlicht war der dritte Satz. Schwungvoll wie der erste, leichtfüßig musiziert, eine tolle Stimmung. Sehr sicher und differenziert realisiert; fröhlich und populär.
Auch die »Passacaglia op. 1« von Anton Webern (1883-1945) fügte sich etwas sperrig in die Gewohnheiten, steckte aber voller attraktiver Hörerlebnisse. Der Komponist, der später die Zwölftontechnik als Tonmaterial nutzte, gestaltete hier ein letztes Mal ein Musikstück auf harmonischer Grundlage.
Ein zarter Beginn mit Bläsern und Streichern forderte und förderte die Aufmerksamkeit. Interessante Klangeffekte fügten sich zu einem dramatischen Klanggipfel. In diesem fröhlichen, schrägen Miteinander klang kurz eine Dur-Tonalität an, um sogleich wieder aufgelöst zu werden. Gut ließ sich nachvollziehen, wie Webern daran arbeitete, die hergebrachte Tonschule hinter sich zu lassen und in der Zwölf-Ton-Welt anzukommen. Resultat waren ungewöhnliche Wendungen, insgesamt ein luxuriöses, reiches Klangerlebnis, immer voller Bewegung und Abwechslung.
Mozarts stimmungsvolle Sinfonie in D-Dur brachte dann alle Zuhörer wieder auf Harmoniekurs. Das Orchester, inzwischen mehr als warmgespielt, führte im Allegro die starken Gesten sicher aus und hielt sich die Anweisung »Con spirito«. Im Andante ging es lieblich und beschwingt zu, es herrschte ein wuchtiger Schwung, zugleich wurde beherrscht musiziert. Ottersbachs Dirigat war hier dynamisch und zugleich subtil gestaltend. Im kurzen dritten Satz klang es energischer, aber auch wohlig umhüllend - mehr ein Ausgleichsgewicht des Werks.
Im finalen Presto herrschte optimistischer Nachdruck, aber auch Entschlossenheit beim Errichten eines eindrucksvollen Klanggipfels. Und dann war auch schon Schluss. Riesenapplaus, das Orchester trampelte ebenfalls begeistert mit. Der UMD bedankte sich herzlich beim Ensemble, Unipräsident Joybrato Mukherjee bedankte sich bei Ottersbach, der Applaus schien überhaupt nicht mehr aufzuhören.
Als Zugabe erklang Klaus Badelts Filmmusik zu »Fluch der Karibik«, ein knackiges Werk, das seine Huldigung des Wohlklangs durch Tempo und Originalität ausbalanciert, mit Gusto gespielt. Als Nachschlag gab es das Finale nochmal.
Trotz des musikalischen Erlebnisses gab es in der Kongresshalle einen Wermutstropfen zu benennen: Die Lüftung lieferte wieder einmal intensiv kalte Luft vor allem in die vorderen Reihen. Ein Faktor, der die überwiegend zugeknöpften Besucher davon abhielt, sich an diesem Ort wirklich wohlzufühlen. Bei Außentemperaturen unter fünf Grad braucht man nicht so viel »frische Luft« wie sonst, zumal die Halle keineswegs überheizt wird. Ein Ansprechpartner war nicht zu finden. Man sollte das abstellen, es geht bekanntlich. Heiner Schultz