Ein Moment sorgt für völlige Stille

Ukrainische Musiker und Tänzerinnen bereiten den Besuchern im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge in Lich einige temperamentvolle und nachdenkliche Augenblicke.
Lich . Temperamentvoll und nachdenklich zugleich verlief das Ukrainekonzert für den Frieden im Kulturzentrum Bezalel-Synagoge am Sonntag. Eine Reihe ukrainische Musiker und Tänzerinnen präsentierten eine bunte Mischung als Klassik, Volkslied und Chorgesang, ausgeführt von jugendlichen und erwachsenen Akteuren. Das Publikum im voll besetzten Haus war bewegt.
Musik für den Frieden
Die Mitwirkenden, einige noch in der musikalischen Ausbildung, hatten teilweise erst vor wenigen Tagen Lich erreicht. Zwar gelang ihnen die Flucht, doch sie besitzen kaum mehr als ihr eigenes Leben. In Deutschland angekommen, fahren sie fort, mit dem, was zentral für ihr Leben war und ist: Die Musik. Nicht nur professionelle, sondern auch angehende Musikerinnen hatten sich zusammengetan, um für den Frieden und ihre Heimat zu spielen.
Der 15-jährige Saxofonist Daniil Pereplesnin zum Beispiel wollte in Kürze sein Studium an der Musikhochschule beginnen, konnte aber noch nicht einmal sein Saxofon mitbringen, eine Freundin schenkte ihm ein Instrument. Was die Ankömmlinge eint, ist neben der Freude über die erhaltene Unterstützung der Wunsch, in ihrem Beruf zu arbeiten
Die künstlerische Leitung besorgte Vitalina Pucci, eine ukrainische Pianistin und Musiklehrerin, bekannt durch das erfolgreiche Quartett »Bittersüß«. Sie übersetzte einige Liedtexte ins Ukrainische. Sie und Moderator Sven Görtz, der zugunsten des guten Zwecks auf seine Gage verzichtete, sorgten dafür, dass neben der persönlichen Ebene auch die momentane politische Lage mit eingebracht wurde. So entstanden bei aller musikalischen Heiterkeit auch besinnliche Momente.
Den Auftrag bestritten die 17-jährige in der Ausbildung begriffene Bratschistin Anastasiia Kostohryz, am Klavier sehr sensibel begleitet von Konzertpianistin Eleonora Akchurina. Man musizierte eine elegische Komposition mit teilweise spannenden Klavierparts und einem hochdramatischen Finale. Riesenbeifall gleich zu Beginn. Gut disponiert musizierte der 16 Jahre alte Pianist Dmytro Havryliuk (Piano), eben noch in Ausbildung an der ukrainischen Musikakademie. Er präsentierte Chopins Scherzo Nr. 1 in einer energiegeladenen, emotional engagierten Fassung. Von jugendlichem Ungestüm beseelt, litt zuweilen die Transparenz. Er musizierte zugleich technisch sehr sicher, fließend und persönlich, setzte kundig dramatische Akzente und transportierte ein sehr bewegende Stimmung.
Eine Auflockerung war die Tanzperformance von Nelli Syupyur. Sie trat in traditionellem Gewand auf und lieferte eine sehr dynamische Darstellung zu ukrainischen volksliedhaften Weisen. Sie führte ihren Tanz dann noch auf ein besonderes Energieniveau, als sie in den Flamenco wechselte. Das war ebenso überraschend wie mitreißend. Sie sei Leiterin einer Flamencoschule, klärte Pucci das verblüffte und begeisterte Publikum auf, das immer wieder heftigen herzlichen Beifall spendete.
Eindringlich trug Görtz einige Gedichte vor, die in Liedern und zum Tanz gesungen wurden, etwa »Requiem«: »Gefallene Jungs - dieses Lied ist euers, für immer.« Mit Bob Dylans »Masters of war« trug er selbst auf der Gitarre zum Abend bei und machte durch eine Übersetzung den Inhalt klar. Eindringlich und glaubhaft kam das, ebenso wie sein Vortrag eines kindlichen Gedichts mit der Mahnung an die »lieben klugen« Erwachsenen, »diesen gewaltigen verfluchten Krieg« zu beenden.
Das vielfältige musikalische Programm war von politischem Engagement geprägt. Ein Text aus dem Gedichtband »Grenzsteine des Lebens« der ukrainischen Dichterin Lina Kostenko schilderte erschütternde Kriegserlebnisse. Pucci und Görtz rezitierten mehrfach nacheinander auf Ukrainisch und Deutsch.
Besonders war der Appell an die Wahrheitsliebe in einer Welt voller Unterdrückung und Gewalt, den Görtz in einer musikalischen Hommage an den Dramatiker, Dissidenten und späteren Präsidenten der Tschechoslowakei Václav Havel verpackte. Mit Bob Dylans Protestsong »Masters of War« erinnerte er auch daran, dass die Welt nicht nur zur politischen Wende Ende der 80er Jahre, sondern auch in der Kuba-Krise an einem Scheideweg stand.
Berührender Text
Ein weiterer berührender Text stammte von Lina Kostenko (in zwei Sprachen vorgetragen mit Vitalina Pucci), der die denkwürdige Zeile enthielt: »Mein erster Vers entstand im Schützengraben.« Das war ein Moment, in dem im Saal völlige Stille herrschte.
Doch man erlebte an diesem Abend auch immer wieder zuversichtliche Momente, so in einem ukrainischen Volkslied, das die Schwestern Yana Tarasenko und Diana Skoropad gemeinsam sangen. Von der ukrainischen, seit 2002 in Deutschland lebenden Komponistin Oxana Krut stammte eine »Jüdische Fantasie«, die Mutter und Tochter, Eleonora Akchurina und Vitalina Pucci, vierhändig am Flügel musizierten. Eine bittere und optimistische Note zugleich erhielt zum Schluss ein von der Komponistin und Pianistin Diana Skoropad mit weiblicher Unterstützung dargebotenes »Lied für die Ukraine«: Die Uraufführung in ihrer Heimat war gescheitert, dafür stieß die Weltpremiere in Lich auf helle Begeisterung.
Das Eintrittsgeld ging komplett an die Künstler. Am 1. Mai ist eine Wiederholung des Programms am selben Ort geplant, am 19. Mai tritt ein Großteil der Protagonisten in Nidda auf.