Ein Musiker voller Tatendrang

Der Berliner Andreas Schüller startet als Generalmusikdirektor des Stadttheaters Gießen. Am Mittwoch steht er im ersten Sinfoniekonzert der Saison am Dirigenten-Pult.
Gießen. In seiner Heimatstadt Berlin, wo er 1974 zur Welt kam, wirkte er in der freien Opernszene und an der Komischen Oper. Er dirigierte an der Wiener Volksoper, am Staatstheater Wiesbaden, an der Oper Leipzig und war acht Jahre lang Chefdirigent der Staatsoperette Dresden. Nun tritt Andreas Schüller mit Beginn der neuen Spielzeit die Stelle des Generalmusikdirektors (GMD) am Stadttheater an.
Da drängt sich die Frage auf: Wieso kommt einer nach Gießen, wenn er bisher in großen Städten an großen, bedeutenden Häusern gearbeitet hat? Seine Antwort: »Weil man mich gefragt hat. Also habe ich mich beworben.« Sogleich schickt der im Gespräch umgängliche und auf Anhieb sympathisch wirkende Musiker hinterher, dass das Gießener Stadttheater in der großen, weiten Theaterwelt gar nicht so unbekannt sei, wie vielleicht manche meinen: »Kollegen in Wien und Dresden, die das Haus kannten, haben mich darauf aufmerksam gemacht.«
Station in Leipzig, Wien und Dresden
Die Größe einer Stadt spielt nach Schüllers eigenen Worten eigentlich keine Rolle; entscheidend ist für ihn, wie die Atmosphäre an einem Theater ist. Und da schneiden die hiesigen Gegebenheiten nach seinen ersten Begegnungen nicht schlecht ab. »Das Philharmonische Orchester Gießen habe ich jedenfalls als sehr positiv und motiviert erlebt«, sagt er. Offen berichtet er, dass seine neue Wirkungsstätte im Vergleich zur Arbeit in Dresden ein dickes Plus für sich verbuchen kann, weil er nämlich hier in Gießen nicht nur für das Musiktheater zuständig ist (wie ausschließlich in Dresden), sondern dass er auch das Konzertprogramm gestalten kann. Insofern sei das für ihn eine neue Herausforderung. »Die Vorfreude ist sehr groß«, verrät er lächelnd und lässt dabei deutlich werden, dass in seiner Person ein dynamischer, kommunikativer Musiker voller Tatendrang und Ideen nach Gießen gekommen ist.
Das erste Sinfoniekonzert am 7. September findet ausnahmsweise nicht im Stadttheater, sondern in der gegenüberliegenden Kongresshalle statt, weil im Großen Haus bereits für die Spielzeiteröffnungspremiere »Posthuman Journey« am 30. September umgebaut wird. Bei diesem ambitionierten Eröffnungsspektakel aller Sparten soll nämlich laut Ankündigung die Grenze zwischen Bühnen- und Zuschauerraum aufgehoben werden.
Doch zurück zum ersten Sinfoniekonzert: Neben »Furioso«, einem Stück des 20. Jahrhunderts von Rolf Liebermann, und Till Eulenspiegels lustigen Streichen op. 28 von Richard Strauss erklingt Beethovens Sinfonie Nr. 1 C-Dur op. 21. Schüller hat nachgeforscht, dass diese Beethoven-Sinfonie lange nicht mehr in Gießen gespielt worden ist. Die Zusammenstellung der drei Werke begründet er damit, dass sie alle von Komponisten in jungen Jahren, die gerade ihren Durchbruch erlebten, geschaffen wurden.
Auf die Frage nach einer favorisierten Musikepoche oder einem bevorzugten Genre antwortet er, dass er sich nicht auf eine bestimmte Richtung festlegen wolle. Aus seiner Musikerbiografie lässt sich denn auch herauslesen, dass er viel italienische Opern, viel Mozart und viel klassische Musicals dirigiert hat, »aber das war durch die besonderen Umstände an den jeweiligen Häusern bedingt«.
Das Gießener Konzertpublikum darf also im Großen und Ganzen ein Spielzeitprogramm erwarten, in dem - wie im ersten Konzert - Kompositionen aus verschiedenen Zeiten gegenübergestellt werden. Daraus hebt Schüller die Sinfonie Nr. 15 von Dimitri Schostakowitsch vor, die im dritten Sinfoniekonzert unter der Leitung seines Stellvertreters, des neuen Ersten Kapellmeisters Vladimir Yaskorski, aufgeführt wird.
Besonders am Herzen liegt Schüller das von ihm selbst dirigierte 4. Sinfoniekonzert mit Werken zu Shakespeares »Sommernachtstraum«, das nur wenige Tage nach der Premiere von Benjamin Brittens Oper »Ein Sommernachtstraum« zu hören sein wird. Weitere Glanzlichter werden nach seiner Ankündigung die Sinfonie Nr. 4 von Gustav Mahler mit der fest engagierten Sopranistin Annika Gerhards als Solistin (im sechsten Konzert) und das Divertimento Concertante für Kontrabass und Orchester von Nino Rota mit dem Kontrabassisten und ARD-Musikpreisgewinner Dominik Wagner (im siebten Konzert) sein.
Um dem Publikum die Werke näher zu bringen oder schlicht das Interesse für die Musik zu wecken, soll es künftig zu jedem Sinfoniekonzert ein sogenanntes Preview-Konzert geben. In diesen Veranstaltungen gibt es Informationen zu den Stücken, Moderation und Gespräche mit den Solisten. Das Orchester stellt die Musik in Ausschnitten vor und lässt hin und wieder Vergleiche zu anderen Kompositionen aufklingen. »Im Anschluss«, so Schüller, »werden wir den Abend im Foyer in eine Feier für alle übergehen lassen.« Von diesem neuen Format erhofft sich der GMD sehr viel, um vor allem ein junges Publikum gewinnen zu können.
Eine weitere Neuerung betrifft das traditionelle Neujahrskonzert, das wegen der hohen Nachfrage diesmal zweimal gegeben wird. Und was das Programm angeht, so kauft das Publikum mit seinen Karten nicht mehr die Katze im Sack, sondern weiß schon vorher, was gespielt werden soll.
Andreas Schüller freut sich, dass am Stadttheater mit dieser Spielzeit wieder damit begonnen wird, ein festes Opernensemble aufzubauen. Darin sieht er einen ganz großen Vorteil: »Der vertraute Umgang erleichtert die Arbeit«.
Bei seinem ersten Sinfoniekonzert der Saison am Mittwoch, 7. September, in der Kongresshalle spielt das Philharmonische Orchester Gießen Werke von Rolf Liebermann, Richard Strauss und Ludwig van Beethoven. Beginn ist 19.30 Uhr. Die Platzwahl in der Kongresshalle ist frei. Um 19 Uhr gibt es eine Einführung mit GMD Andreas Schüller und Ann-Christine Mecke, der neuen Leiterin des Musiktheaters am Stadttheater. (red)