»Ein wenig sorgfältiger sein«

Die Stadt Gießen muss sparen. Regierungskoaltion und Opposition streiten über das Wie.
Gießen. Dass die Stadt den Gürtel enger schnallen muss, ist bekannt. Aber wie? Die Meinungen darüber gingen in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag erwartungsgemäß auseinander. »Wenn man konsequent die Vorgabe des Regierungspräsidiums ignoriert, die Verwaltung personell immer weiter aufbläht und sich den Haushalt mit Ausgaberesten über Jahre schönrechnet, passiert das, was passieren musste. Der Haushalt konnte in dieser Form nicht genehmigt werden«, monierte Fraktionsvorsitzender Dominik Erb von der FDP. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher entgegnete, dass die Debatte anfange, die »Geschichte vom aufgeblähten Stellenplan zu erzählen. Ich bitte darum, im Interesse unserer Stadt ein wenig sorgfältiger zu sein«. Am Ende der rund 90-minütigen Debatte stimmte die Koalition für die sogenannten Haushaltsbegleitbeschlüsse samt Sicherungskonzept. Beides ist notwendig, weil das Regierungspräsidium als Aufsichtsbehörde die Zustimmung zum Haushalt in der ursprünglichen Fassung verweigert hatte.
Umgang mit der Opposition
Zum Auftakt der Diskussion blickte Erb auf die letzte Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses zurück. Er kritisierte den Umgang mit der Opposition, der »nicht ausreichend Zeit zur Beratung bei einer so weitreichenden Entscheidung gegeben« worden sei. Mit Blick auf den Haushalt selbst führte er aus, dass ein Großteil des Stellenzuwachses nicht durch neue städtische Aufgaben gerechtfertigt sei. »Nun ist der Kämmerer zum Sparen gezwungen und das ist auch richtig so. Die Frage ist nur, wo gespart werden soll«, so der Liberale. Dies sei eine Frage der Prioritätensetzung, bei der nicht notwendige Projekte in den Sinn kämen. »Ein Beispiel ist der unsägliche Verkehrsversuch für eine Million Euro. Gespart wird stattdessen bei Sozialem, bei Bildung und bei der Gefahrenabwehr. Statt auf das ideologische Prestigeobjekt zu verzichten, lässt die Koalition die Kinder lieber in heruntergekommenen Schulen sitzen.« Kinder schwitzten in unsanierten Kindertagesstätten. »Der eigentliche Hammer: die Erhöhung der Grundsteuer B. Weitere elf Millionen Euro werden hier einkalkuliert. Sie werden auf die Mieten umgelegt und die Mieten in die Höhe getrieben«, ergänzte Dominik Erb hinsichtlich einer möglichen Erhöhung..
Dass die Opposition keine Möglichkeit zur Mitwirkung gehabt habe, rügte auch Thomas Biemer von der AfD. Die Erklärung, auf eine Erhöhung der Grundsteuer zu verzichten, sei »erstmal nur ein Lippenbekenntnis von Bürgermeister Alexander Wright«. Die fraktionslose Stadtverordnete Martina Lennartz sprach von einer städtischen »Misswirtschaft«. Als Belege nannte sie die Greensill-Anlagen, Ausgaben für die Landesgartenschau 2014 und die vierte hauptamtliche Stelle im Magistrat. Zentrale Fehler sah sie jedoch bei der Landesregierung in Wiesbaden, die Städte und Kommunen »ausblute«.
Wer brauche schon ein ausgeglichenes Budget, fragte Darwin Walter von »Die Partei« rhetorisch. »Es ist doch viel aufregender, jedes Mal zu sehen, wie tief wir uns in den roten Zahlen befinden.« Fraktionsvorsitzender Günter Helmchen von den Freien Wählern sprach von einem Verschieben von Projekten ins nächste Jahr. »Wo soll denn das Geld wieder herkommen? Man muss einfach anfangen, jeden Stein umzudrehen. Dann muss man nicht anfangen, bei Schulen zu sparen«, meinte der Freie Wähler. Als Sparmöglichkeit nannte er die Rolltreppen am Elefantenklo.
Diskrepanz beim Personal
Auch Lutz Hiestermann, Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft Gigg+Volt monierte den Umgang mit der Opposition im Zusammenhang mit der Ausschusssitzung. »Das ist ein Mangel«, hob Hiestermann hervor. An allen Ecken und Enden sei die Koalition für Beteiligung - nur in diesem Punkt nicht, argumentierte CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus Peter Möller. Ihm sei klar, dass die Zeit ziemlich knapp gewesen sei, wandte sich Wright mit Blick auf die letzte Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses an die Opposition. Für diese Kurzfristigkeit habe er sich bereits entschuldigt. Bei den Kürzungen habe es sich die Koalition aus Grünen, SPD und Gießener Linke nicht leicht gemacht. »Natürlich stehen wir hinter diesen Projekten«, betonte der Bürgermeister. Die Partner hätten sich jede einzelne Maßnahme genau angeschaut. Wo wird noch geplant? Wo schon gebaut? Wright: »Der RP kritisiert ein erhebliches Missverhältnis zwischen dem Umfang unseres Investitionsprogramms und den in diesem Jahr tatsächlich realisierbaren Projekten«, so der Grüne. Angemahnt worden sei, diese Reste zu kürzen und das städtische Investitionsprogramm zu reduzieren. Trotz dieser Kürzungen stünden noch 100 Millionen Euro zur Verfügung. Die Erhöhung der Grundsteuer B sei das letzte Mittel, betonte Wright.
Eine Diskrepanz der Auffassungen von Stadt und RP sehe er beim Personal. »In den 2010er Jahren wurden weitere Aufgaben an die Kommune herangetragen«, führte der sozialdemokratische Oberbürgermeister zum Thema Personal aus. Mit 25 zusätzlichen Stellen bei der Ordnungspolizei durch den Wegfall eines externen Dienstleisters, 17 Stellen im Schulverwaltungsamt durch den »Digitalpakt« sowie 31 zusätzliche Stellen in der Sozialarbeit, beim Allgemeinen Sozialen Dienst des Jugendamtes, der Betreuung unbegleiteter minderjähriger Ausländer, den Eingliederungshilfen und 47 Stellen in Kindertagesstätten durch das »Gute-Kita-Gesetz« nannte Becher Beispiele für zusätzliche städtische Aufgaben.
Sie seien die Ursache für Zuwächse und nicht, »weil wir es uns leisten, die gleichen Dinge mit mehr Personal zu tun«. Die Stadt werde natürlich gebotene personalwirtschaftliche Maßnahmen ergreifen. Gleichzeitig gelte es, marktgerecht nach Personal zu suchen. Fraktionsvorsitzender Christopher Nübel von der SPD vermisste wiederum Sparvorschläge der Opposition.