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Eine 18-monatige Chance

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Von: Björn Gauges

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Bessere Chancen für ein geregeltes Arbeitsverhältnis: »Jobs gibt es ausreichend, es braucht aber Brücken«, sagt Stadträtin Astrid Eibelshäuser. Symbolfoto: Christoph Schmidt/dpa © Red

Die Stadt Gießen will rund 200 geduldete Ausländer dank eines neuen Gesetzes in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft integrieren.

Gießen. »Es ist eine Chance für die Menschen und es ist eine Chance für uns«, sagt Stadträtin Astrid Eibelshäuser. Gemeint sind in Gießen lebende Personen aus Ländern wie Afghanistan, Iran, Äthiopien oder der Türkei, die seit mindestens fünf Jahren im Land leben, aber bislang nicht über den Status der Duldung hinausgekommen sind. Weil sie dadurch aber weder ein geregeltes Arbeitsverhältnis eingehen, noch solch banale Dinge wie einen Handyvertrag abschließen können, hat der Bundestag Ende vergangenen Jahres das sogenannte Chancen-Aufenthaltsgesetz beschlossen, das einem konkreten Personenkreis zu einer besseren Integration verhelfen soll. Die Stadtverwaltung will diese Berliner Vorlage nutzen und hat rund 200 Menschen angeschrieben, um ihnen die mit dem Gesetz verbundenen Möglichkeiten auf direktem Weg nahezubringen.

Es geht dabei um Personen, die Deutschland eigentlich hätten verlassen müssen, erläutert Gerald Menche, Leiter der Gießener Ausländerbehörde. Doch es gebe Gründe, die einer solchen Abschiebung entgegenstehen. Dazu zähle vor allem der Krieg, etwa in Syrien. Dazu zähle aber auch, dass manche Heimatländer keine Pässe ausstellen, etwa das von den Taliban beherrschte Afghanistan. Für die Ukraine gelte zudem ein genereller Abschiebestopp. Es gehe also um Leute, »die schon lange in Deutschland leben und auch mindestens noch ebenso lange leben werden«, verdeutlicht Menche.

Für das Erlangen eines solchen Chancen-Aufenthaltsrechts müssen zugleich mehrere Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu gehört zunächst, dass die Kandidaten zum Stichtag 31. Oktober 2022 seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben. Hinzu kommen weitere Punkte: darunter Straffreiheit und das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Entscheidend ist dann, dass die kommenden anderthalb Jahre genutzt werden können, »um die nötigen Hausaufgaben zu machen«, erläutert Julia Hettenhausen, die Leiterin des Gießener Büros für Integration.

Dabei geht es etwa um das überwiegende Verdienen des eigenen Lebensunterhalts, die Vorlage eines Sprachnachweises und den nachgewiesenen Schulbesuch der Kinder, um nur einige Vorgaben aufzuzählen. Neu sei nun, so Hettenhausen weiter, dass die Antragsteller die genannten 18 Monate Zeit bekommen, all diese Anforderungen zu erfüllen. Auch wer etwa falsche Angaben zu seiner Herkunft gemacht hat, könne dies nun richtigstellen, ohne als Konsequenz die direkte Abschiebung befürchten zu müssen, ergänzt Gerald Menche.

Um das neue Chancen-Aufenthaltsrecht anwenden zu können, hat die Ausländerbehörde aus ihrem Datensystem all diejenigen herausgefiltert, die dafür infrage kommen: rund 200 Menschen. Sie wurden schriftlich zu einem Informationstag in der kommenden Woche eingeladen.

Kooperation mit Beratungsstellen

Zugleich sind die Behörden laut Julia Hettenhausen im Vorfeld auf die Integrations-Beratungsstellen zugegangen, um diesen Infotag gemeinsam zu gestalten. Denn so sollen den Antragstellern persönliche Ansprechpartner zur Seite stehen, die sie über ihre Möglichkeiten informieren und ihre Interessen vertreten können.

»Wir wollen den Leuten erklären, was sie in den kommenden Monaten alles tun müssen, um die Voraussetzungen zu erreichen. Diese Möglichkeit soll nicht verpuffen«, betont Gerald Menche. Schließlich sei ein Leben mit Duldung anders als eines mit Aufenthaltserlaubnis. »Wer stellt schon jemanden ein, der nur noch zwei Monate geduldet ist?«, fragt der Leiter der Ausländerbehörde. Dieser unsichere Status biete keine Perspektive.

In den Beratungsgesprächen sollen daher direkte Lösungswege aufgezeigt werden, um die »offenen Baustellen« abzuarbeiten: Wie bekomme ich einen Deutschkurs? Welche Möglichkeiten bietet der Arbeitsmarkt? Wie kann die Passbeschaffung gelöst werden? Menche erklärt, dass sich die eingeladenen Personen anhand dieser Fragen klarmachen müssen, was sie an Voraussetzungen erfüllen und was nicht. Über den Informationstag »können wir für die Möglichkeit der rechtlichen Integration sorgen, für die faktische müssen die Leute dann selbst sorgen«.

Menche ist zuversichtlich, dass einige der Kandidaten die nächste Stufe schnell erfüllen werden. Zugleich werde es aber auch Leute geben, die nicht zum Infotag erscheinen und keine Rückmeldung geben. »Die bleiben dann im Status der Duldung und geben eine Chance aus der Hand.«

Ob diese vom Gesetzgeber zugestandenen 18 Monate nun viel oder wenig sind: »Wir wissen es nicht«, sagt Astrid Eibelshäuser. Sicher sei hingegen: »Jobs gibt es ausreichend. Es braucht aber Brücken«, damit die Leute für den Arbeitsmarkt gewonnen werden.

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