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Eine Biografie wie ein Roman

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Von: Emma Kremer

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Auf Einladung der Arbeitsstelle Holocaustliteratur in Kooperation mit Prof. Greta Olson, Institut für Anglistik, stellt Rebecca Donner (li.) ihr Buch »Mildred« in Gießen vor. Foto: Kremer © Kremer

»Mildred« erzählt die Geschichte von Mildred Harnack-Fish, die ihren Widerstand in der Zeit des Nazi-Regimes mit dem Leben bezahlte. Ihre Urgroßnichte stellte das Buch in Gießen vor.

Gießen. Eine Mischung aus Biografie, Abenteuer und historischer Aufarbeitung: »Mildred« erzählt die Geschichte von Mildred Harnack-Fish, die während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes den größten Widerstandskreis Berlins organisierte und ihren Kampf gegen die Nazis letztendlich mit dem eigenen Leben bezahlte. Mit einer Lesung erinnert die Arbeitsstelle Holocaustliteratur in Kooperation mit Prof. Greta Olson vom Institut für Anglistik an die Frau, die 1902 in Wisconsin geboren wurde, 1929 gemeinsam mit ihrem Mann Arvid Harnack nach Deutschland ging und 1941 in Gießen promovierte.

»Ich wollte die Dinge sehen, die Mildred sah, durch die Straßen laufen, durch die auch Mildred lief«, erklärt die Autorin Rebecca Donner auf Englisch. Anlässlich der Lesung ist sie aus den USA angereist, das Buch hat für sie über die historische und politische Bedeutung hinaus auch eine ganz persönliche: Mildred war ihre Urgroßtante.

Widerstand

»Auffällig amerikanisch« sei sie gewesen, lehrte zwei Jahre lang »Amerikanische Literaturgeschichte« in Berlin, scheute sich nie davor, ihre Meinung, besonders auch zu aktuellen Geschehnissen, offen zu äußern. »Deutschland macht schwere Zeiten durch«, schreibt sie in einem Brief an ihre Mutter, und obwohl es viele merkten, »stecken die meisten den Kopf in den Sand.« Ihre kritischen Positionierungen führen schließlich zur Entlassung; die Zeiten, in denen sie ihre Meinung frei äußern konnte, sind vorbei.

Für Mildred beginnt der Widerstandskampf, gemeinsam mit ihrem Mann rekrutiert sie Arbeiterinnen und Arbeiter, Künstlerinnen und Künstler sowie Studierende, das erste Geheimtreffen findet 1932 in der Wohnung des Ehepaars statt. Als sie schließlich von den Nationalsozialisten entdeckt wird, verurteilt man sie zu sechs Jahren Haft und Zwangsarbeit im Zuchthaus, eine für diese Zeit eher »harmlose« Strafe, erzählt Donner.

Zwei Tage nach dem Urteil ordnet Hitler persönlich einen neuen Prozess an, Mildred wird hingerichtet und enthauptet. Die Nationalsozialisten wollten sie »ausradieren«, erkennt Donner, damit seien sie aber nicht die einzigen gewesen: Aufgrund ihrer Kollaboration mit einem sowjetischen Spionagenetzwerk gibt es kaum Dokumentationen zum Leben der Mildred Harnack-Fish in den USA und zu ihrem Tod. Die Politik des Kalten Krieges habe die Erinnerung an so jemanden nicht zugelassen, so Donner. Auch Mildreds eigene Familie verbrannte fast alle Briefe und Fotos, die sie von ihr noch hatten. Die Recherchearbeit für das Buch sei deshalb keineswegs einfach gewesen, über zehn Jahre arbeitete Rebecca Donner daran, Mildreds Geschichte aufzuarbeiten. »Man kann nicht behaupten, dass Einigkeit herrschte über die Frau«, verdeutlicht sie.

Besonders wertvoll und essenziell für die Veröffentlichung wurde ein Mann namens Don Heath, der Mildred kennenlernte, als er elf Jahre alt war. Durch sein kindlich unschuldiges Auftreten erweckte er kein Misstrauen, wodurch Mildred und Dons Vater, ein Diplomat, ihn als geheimen Botschafter verwenden konnten. Der mittlerweile über 80-jährige Mann erzählte Donner die Geschichten von Mildred damals so, als würde er es in diesem Moment erleben. Das habe sie dazu inspiriert, die Biografie im Präsenz zu verfassen, wodurch sich das Buch eher wie ein Roman liest. Trotzdem handelt es sich keineswegs um Fiktion, betont sie, die Macht der Geschichte sei, dass sie real ist.

Aktuelle Relevanz

Die aktuelle Relevanz sei ihr auch noch einmal im Schreibprozess bewusst geworden: Viele Jahre arbeitete sie an dem Buch, mit größtem Elan allerdings, als Donald Trump an die Macht kam. Jetzt ist es an der Zeit, dass Leute diese Geschichte hören müssen, habe sie damals gedacht. Und auch heute zeige sich noch, was in einer faschistischen Atmosphäre passieren kann, wie viel auch Frauen an ihren Rechten verlieren, weiß Donner.

Das Thema Emanzipation und Feminismus wird auch in ihrem Buch aufgegriffen, wenn Mildred für eine Abtreibung nach London reist oder Frauen in ganz Deutschland durch Goebbels Kampagne gegen die »Doppelverdiener« ihre Arbeitsstellen verlieren.

»Mildred« ist die Geschichte einer jungen Frau, die trotz aller Bemühungen ihrer Gegner nicht zum Schweigen gebracht werden konnte. Donner erweckt sie wieder zum Leben. Angeregt wurde sie dazu bereits mit 16 Jahren, als ihre Großmutter ihr die einzigen Briefe gab, die die Familie aufgehoben hatte: »Eines Tages musst du ein Buch über sie schreiben«, habe Oma ihr damals gesagt. »Das habe ich jetzt getan«, schließt Donner.

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