Eine Herzensangelegenheit

Nuray Aslanoglu ist die neue Betreiberin des Dorfladens in Lützellinden. »Es wäre schade, wenn ein solch schönes Geschäft schließen würde«, sagt die junge Frau. Trotzdem ist es ein mutiger Schritt.
Gießen . »Wie schön, dass es den Dorfladen gibt«, freut sich die neunjährige Julia, als sie an der Kasse ihre Süßigkeiten zum Bezahlen ablegt. Das Mädchen ist mit seiner Oma unterwegs, die ein paar Kleinigkeiten für das Mittagessen eingekauft hat und dankbar ist, dass sie hier schnell einkaufen kann. Ohne Parkplatzsorgen, ohne Wartezeiten und mit freundlichem Personal, das macht das Einkaufen in dem kleinen Laden in Lützellinden einfacher und spart Zeit.
Aus »Bankladen« wurde »Backladen«
1995 übernahm Marco Langsdorf von der Familie Müller die Bäckerei mit angeschlossenem Lebensmittelgeschäft »voller Stolz«, wie er rückblickend feststellt. 27 Jahre sind vergangen, eine lange Zeit, und es hat sich viel verändert. Der Laden zog von der Kaiserstraße die Lindenstraße um und aus dem »Bankladen«, denn dort war früher eine Volksbankfiliale, wurde ein »Backladen«, wo es neben Backwaren auch Lebensmittel und Zeitschriften zu kaufen gab, allerdings wird vor Ort nicht frisch gebacken.
Es sei immer schwieriger geworden, den Laden am Leben zu erhalten, schrieb Marco Anfang Dezember seinen Kunden. »Auch bei uns fehlen ein paar Euro in der Kasse«, offenbarte er in schwierigen Zeiten. Schon Monate vorher ging das Gerücht im jüngsten Stadtteil von einer Schließung des Ladens um. Dass solche Geschäfte schließen, ist an der Tagesordnung, Corona und die Inflation sowie die Energiekrise tun ihr Übriges. Das Gerücht rief Nuray Aslanoglu auf den Plan, sie arbeitete als ausgebildete Bäckereifachverkäuferin schon dreieinhalb Jahre bei Marco Langsdorf.
»Es wäre schade, wenn ein solches schönes Geschäft schließen würde,«, dachte sich die junge Frau, Mutter von drei Kindern. Und sie redete mit ihm, sie wurden sich einig und aus ihrem Angestelltenverhältnis wurde der Job einer Selbstständigen. Seit Januar steht sie weiterhin hinter der Bäckereitheke, verkauft frisches Brot, viele Sorten Brötchen und berät die Kundinnen und Kunden. Jetzt aber als Chefin von einer Teilzeitkraft und zwei Aushilfskräften.
Backwaren aus dem Brotatelier
»Es ist mutig, in der heutigen Zeit ein solches Geschäft zu übernehmen«, schrieb Marco Langsdorf in seinem Brief an die Kundschaft und warb seine Nachfolgerin zu unterstützen. Die ist froh, neue Eigentümerin des Ladengeschäftes zu sein »Der Laden liegt mir sehr am Herzen«, sagt die junge Frau, die in Niedergirmes zur Welt kam und dort aufgewachsen ist. Heute wohnt sie mit Mann und Kindern seit elf Jahren in Kleinlinden. Und sie hat die Unterstützung von ihren Schwiegereltern und ihrem Mann. Ein wenig gestaltete Nuray Aslanoglu das Geschäft seit ihrer Übernahme um. Neben den Backwaren verkauft sie Getränke, Zeitschriften, Tabakwaren und betreibt dazu einen Hermes Paketversand. Die Backwaren liefert ihr früherer Chef Marco Langsdorf aus dem Brotatelier in der Mäusburg in Gießen.
Der geht ihr im Moment auch noch zur Hand, berät sie in vielen Dingen und organisatorischen Abläufen. Wurstwaren verkauft die Bäckereifachverkäuferin und ihr Team vom Landgasthof »Zum Löwen« in Leihgestern. Neu im Angebot sind Präsentkörbe, die sie nach den Wünschen der Kunden zusammenstellt und gestaltet.
Werner Engel ist Stammkunde, trinkt täglich seinen Kaffee in der gemütlichen Ecke vom Laden, probiert auch schon mal neue Backwaren aus. Wie sieht die neue Ladenbetreiberin ihre neue Rolle als Chefin? »Das sind nach wie vor meine Kolleginnen. Wir sind ein Team und das ist wichtig«, macht sie deutlich, hat keine Allüren, jetzt ihre bisherige Einstellung zu verändern. »Bei mir wird mit Liebe gearbeitet«, ist ihr Lebensmotto auch bei ihrem Job vorher gewesen. Man können etwas gut verkaufen, wenn man auch davon überzeugt ist, sagt sie und notiert den Wunsch eines Kunden nach Röstzwiebeln. Die sind im Moment nicht im Regal, werden aber bestellt.
»Dieser Laden ist für das Gemeinwohl wichtig«, sagt Edwin Engel, der auch zu den Stammgästen im kleinen Kaffee zählt. Nuray Aslanoglu will das Büro umgestalten und ein paar Sitzplätze im Innern des Ladens schaffen. Für Senioren beispielsweise, die sich dort zum Kaffee treffen. Denn in Lützellinden gibt es keine Gaststätte und keine Geschäfte mehr und da ist es wichtig einen Platz zu schaffen, wo man gemütlich sitzen, sich austauschen und plaudern kann. Schnell mal in den Dorfladen laufen, mit dem Fahrrad hinfahren - das ist auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz.