Eine kleine, große Erfolgsgeschichte

Der Gießener Verein »Bildung und Sport« hat in Sierra Leone für drei Schulen und mehr gesorgt. Das zeigt auch, wie einfach es sein kann, wenn einem nichts zu schwierig ist, um zu helfen.
Gießen . Ein bisschen Zufall spielt auch immer mit, wenn sich Menschen zusammenfinden, um aus einer kleinen Idee eine große Sache zu machen. Wobei groß auch schon wieder relativ ist. Aber in Levuma, Kptewoma und Makump Doron, drei Orten im westafrikanischen Sierra Leone, werden die Bewohner es nicht relativieren, sondern im Gegenteil sehr zu schätzen wissen, dass ein kleiner Verein (und das ist er nicht nur relativ) mit bescheidenen Mitteln, aber umso mehr Grips, Sachverstand und Engagement dafür sorgte, dass dort jetzt drei Schulen stehen, die vorher in desaströsem Zustand, komplett zusammengebrochen oder erst gar nicht vorhanden waren.
Und so wie im Laufe der vergangenen Jahre der Name Gießen dort in Sierra Leone mal gehört, mal ausgesprochen, einen guten Klang bekam, so sollten auch Levuma, Kptewoma und Makump Doron in Gießen ein wenig bekannter werden. Denn diese Namen stehen auch dafür, wie einfach es sein kann, wenn einem nichts zu schwierig ist, um zu helfen.
Folglich ist dies auch die Geschichte von Bispo e. V., eben jenem Zusammenschluss von ein paar Menschen - in der Spitze waren es 14, 15 plus einige Unterstützer - die zunächst Trikots, Fußballschuhe und Bälle sammelten, um mit diesen Spenden »Bildung und Sport« (Bispo eben) dort hinzubringen, wo es zu wenig Mittel gibt für den Sport, der gleichzeitig als Ansporn dienen soll, die Bildung auf solidere Füße zu stellen.
Bildung und Sport gekoppelt
Treibende Kraft dabei: Die in Kleinlinden lebende Dr. Friederike Bellin-Sesay, die in Gießen am Institut für Ernährungswissenschaften als Expertin für »Internationale Ernährung« tätig ist und bereits im Rahmen ihres Studiums Sierra Leone kennenlernte. Und dort vor allem in Levuma tätig war. Der Ort, der ihr ans Herz gewachsen ist und den sie nach 30 Jahren wieder aufsuchte, um dann einerseits erfreut festzustellen: »Mensch, die kennen dich ja noch, haben dich nicht vergessen«, aber auch zu registrieren, an was es mangelte: Einem stabilen Schulgebäude, damit die Jungen und Mädchen nicht mehr bei Wind, Wetter und in praller Sonne unter einem ausladenden Baum unterrichtet werden müssen.
So kam schließlich eins zum anderen. Die Kenntnis des Landes und der Verhältnisse vor Ort von Bellin-Sessay und ihrem Mann Kelfala und der in Gießen gemeinsam mit Heinz und Margit Buhl sowie Petr Brozik reifende Gedanke, mit einem Verein, der sich um beides kümmert, eben Sport und Bildung, Sachspenden und Gelder zu sammeln. Dinge, die einerseits den Kindern Anreiz bieten, eine Schule zu besuchen, andererseits aber diese zunächst auf- und auszubauen.
Diese Geschichte, zugegeben, wurde in dieser Zeitung bereits ein paar Mal erzählt. Immer dann nämlich, wenn ein neues Projekt, der nächste Schulbau anstand, immer dann, wenn es galt, Spenden zu akquirieren und immer dann, wenn Fotos von glücklichen Kindern zugemailt wurden, weil wieder ein Container sein Ziel erreicht oder Bellin-Sesay mit zwei riesengroßen Koffern vor Ort etwas zu verteilen hatte.
Das ist die eine Seite der Medaille, deren andere auch Petr Brozik prägte. Denn der Gießener Radiologe i. R. widmete sich nicht nur über viele Jahre der Unterstützung des Fußballs beim VfB 1900 Gießen, sondern sprüht stets vor Ideen, wenn es darum geht, die großen Nöte der Welt wenigstens im Kleinen ein bisschen abzumildern. Brozik hatte vor mehr als einem Jahrzehnt den Gedanken, schulische Unterstützung an den Jugendfußball anzudocken und sozial benachteiligten Kindern Nachhilfe zu geben. Das Training und der Kick gekoppelt an Hausaufgabenhilfe. »Kopf und Ball« hieß das, zu »Head and Ball« wurde es internationalisiert, als Bellin-Sesay und Brozik gemeinsam die Idee auf Sierra Leone ausweiteten, letztlich alles unter dem Bispo-Dach.
Kaffee und Kuchen für den Schulbau
In der mittelhessischen Praxis sah das so aus, dass beim VfB 1900 im Waldstadion und später beim Nachfolgeverein Teutonia Watzenborn-Steinberg und dem FC Gießen ein Team von Freiwilligen Kaffee und Kuchen verkaufte, der wiederum beispielsweise von »Bäcker Braun« gespendet wurde. Der Erlös, nebst weiteren Spendengeldern, kam direkt den Schulbauten viele tausend Kilometer südlich zugute. Dem vorausgegangen war zudem »eine wirklich gute Zusammenarbeit mit dem Fußballkreis Gießen«, wie die Macher betonen. Der rief unter dem damaligen Kreisjugendwart Jürgen Jung und Kreisfußballwart Henry Mohr die Vereine zu Sachspenden wie Trikots, Bälle, Trainingsanzüge, Leibchen und Sportschuhen auf oder sammelte gleich selbst bei der Jugendhallenrunde mit einer großen Spendenbüchse.
Das Ergebnis war so augenfällig wie überzeugend. Keine verschlungenen Wege über anonyme Konten, sondern eine Übergabe vor Ort auf einem staubigen Vorplatz und daraufhin nach Mittelhessen geschickte Bilder, die begeisterte Kinder in Trikots des SV Annerod oder des TSV Hungen und Trainingsjacken des MTV Gießen zeigten. Immer schon stand aber die Kopplung der Geschenke mit dem anzustrebenden Schulbesuch im Vordergrund: »Bildung ist der wichtigste Faktor, um dauerhaft die Not zu lindern, den Kindern eine Chance zur Entwicklung zu geben, auch Fluchtbewegungen zu verhindern, wenn sie selbst ihr Land eines Tages voranbringen können«, lautete das über Jahre postulierte Motto, das sozusagen als weicher Faktor diese wunderbaren Anekdoten produzierte: Ein für die Kinder in Levuma gespendeter Ball oder Fußballschuh hält Jahre, er wird gepflegt und geflickt, bekommt einen angemessenen Platz, fast wie eine Monstranz. Das ist nachhaltiger Umgang par excellence, da können wir etwas von lernen, während die Kinder nun auch in den von Gießen aus finanzierten Schulen büffeln. Denn wichtig war immer auch, den Spaß des Spielens an die Notwendigkeit zur Bildung anzudocken. Wenn eine Familie in Westafrika ihren Lebensunterhalt nur dann bestreiten kann, wenn die Kinder schon früh mitarbeiten, müssen die Eltern manches Mal von der Bedeutung des Schulbesuchs erst überzeugt werden. Doch gerade Sierra Leone ist auf einem guten Weg, seit David Sengeh für »Basic and Senior Secondary Education« zuständig, also Bildungsminister, ist. Und da ist wieder der Zufall - oder auch nicht: Denn der 37-jährige Harvard-Absolvent ist auch das Patenkind von Friederike Bellin-Sesay.
»Alles hat seine Zeit« - Verein nun aufgelöst
Nun schließt sich der Kreis, denn natürlich war nicht alles immer nur einfach und spielerisch, gab es auch Rückschläge und Schwierigkeiten. Sowohl was die Schulbauten angeht, aber auch die Möglichkeit, vor Ort den Prozess zu begleiten. Und wenn man in diesem Wissen nach Gießen schaut, wie langwierig und aufwändig und finanziell schwierig es ist, auch hier Kindern und Jugendlichen angemessene Sportstätten zu schaffen, dann mag man kaum glauben, dass der erste Schulbau in Levuma für einen gerade mal vierstelligen Eurobetrag zu haben war. Zugegeben: Hier hinkt der Vergleich, Aussagekraft besitzt er gleichwohl.
Erst Ebola, dann Corona
Die letzten Jahre waren kompliziert: Es gab Ebola und dann Corona. »Das alles hat es nicht einfacher gemacht, so dranzubleiben, wie man es sich gewünscht hätte«, sagt Bellin-Sesay, die aber mit ihren Mitstreitern die Erfolge und nicht die unbeeinflussbaren Malaisen im Vordergrund sieht. Eine Brunnenreparatur und das Mobiliar für die dritte Schule, all das wurde und wird noch von den vorhandenen Geldern gestemmt, der Verein wurde nun aufgelöst. »Alles hat seine Zeit, wir haben an drei Orten vielen hundert Kindern helfen können, mal sehen, was jetzt kommt.«
Ein bisschen Trauerarbeit darf am Ende dieser kleinen und doch ganz großen Erfolgsgeschichte schon sein - während in Levuma Kinder mit einem Ball aus Gießen nach der Schule fröhlich kicken.

