Eine Stunde für gute Laune sorgen

Ehrenamtliche des Vereins »HerzCaspar« lenken am Uniklinikum Gießen junge Patienten der Station für Psychosomatik vom eintönigen Alltag ab. Ihre Krankheit spielt dabei keine Rolle.
Gießen. Lachend gibt Karina* noch einen Löffel Teig auf das Crêpes-Eisen, während Anna* mit einem Teller in der Hand wartet, bis der süße Fladen endlich fertig ist. In einer anderen Ecke des hellen Raumes spielen vier Mädchen am Tischkicker und freuen sich über jeden Ball, der ins Tor kullert. Die Szenen spielen sich nicht, wie man vielleicht erwartet, in einem Jugendzentrum ab, sondern auf der Station für Kinder- und Jugendpsychosomatik des Universitätsklinikums Gießen.
Es ist Montag - und jeden Montag sind die »Buddies« vom Verein »HerzCaspar e.V.« eine Stunde zu Gast, um Kinder und Jugendliche von ihrem oftmals eintönigen Klinikalltag abzulenken. Nach Hamburg, Berlin und Bielefeld ist Gießen der vierte Standort, an dem sie ehrenamtlich tätig sind.
Alles begann damit, dass Kayla Möller durch einen Podcast auf »HerzCaspar« aufmerksam wurde. Sie erlebte, wie die »Buddies« in Bielefeld Epilepsie-Patienten von ihrer Erkrankung ablenkten und war begeistert. »Aufgrund von Corona waren die Ehrenamtler zwar nur online präsent, aber auch das hat prima funktioniert«, erinnert sie sich.
Von Idee begeistert
Die 22-Jährige wandte sich mit der Idee, diese Aktion auch in der Universitätsklinik Gießen zu etablieren, an die Pflegedirektion. Sie absolviert dort selbst eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester. Prof. Burkhard Brosig, der Leiter der Kinder- und Familienpsychosomatik, sei von dem Vorschlag sofort angetan gewesen.
Nach ersten Gesprächen mit Vertretern des UKGM wurde ein Team aus interessierten jungen Menschen zusammengestellt, die sich in ihrer Frei-zeit als »Buddies« engagieren wollten. Die Justus-Liebig-Universität hat einen Aufruf geteilt und es wurde auch Wer-bung über Soziale Medien gemacht, erklärt die junge Frau. Alle Interessenten mussten im Vorfeld eine Ausbildung absolvieren, die sie - vor allem mental - auf ihren Einsatz im Krankenhaus vorbereiten sollte. Nach etwa einem halben Jahr konnte das »HerzCaspar«-Buddy-Programm im vergangenen November starten.
Insgesamt sind 13 »Buddies« im wöchentlichen Wechsel auf der Station im Einsatz. »Dabei spielt es keine Rolle, ob die jungen Leute medizinische Vorkenntnisse haben«, sagt Kayla Möller. Neben ihr engagieren sich unter anderem die Lehramtsstudentin Lena Jung, die Medizinstudentin Kristine Kubat sowie angehende Umweltingenieure und Kinderpädagogen sowie einige andere Studenten bei den »Buddies« - elf Frauen und zwei Männer.
Die »Buddies« sind keine Therapeuten, sondern möchten den Kindern und Jugendlichen eine Stunde ihrer Zeit schenken, in denen sie machen können, worauf sie Lust haben. »Nicht der Patient steht im Vordergrund, sondern das Kind. Wir wissen auch nicht, was die Kinder konkret haben. So können wir ihnen normal, ohne einen pathologisierenden Blick entgegentreten«, verdeutlicht Lena Jung.
Allen »Buddies« gemein ist ihre Freude an der Arbeit mit den aktuell neun Kindern zwischen elf und 18 Jahren. »Wir sind immer zu viert im Einsatz und fragen die jungen Leute, auf was sie Lust haben.« Manchmal werde gebastelt oder gemalt, ein anderes Mal gespielt, Sport getrieben, Spazieren gegangen oder einfach nur gequatscht. Wer keine Lust habe mitzumachen, müsse das auch nicht tun.
»Auf das Crêpesbacken habe ich mich schon die ganze Zeit gefreut«, sagt Natascha*, die 153 Tage auf der Station war und nun entlassen werden soll. »Ich hatte schon Angst, dass ich nicht mehr dabei sein kann.« Der Abschied von ihren neuen Freunden auf der Station und den »Buddies« stimmt sie traurig. »Als ich hierher kam, waren wir nur zu zweit«, erinnert sie sich. »Die ›Buddies‹ machen immer Superaktionen mit uns«, freut sich Karina und befördert einen weiteren Ball ins gegnerische Tor. »Es wird auf jeden Fall nie langweilig«, bestätigt Elia*. Auch wenn er Sport nicht so gerne mag. »Der steht schon auf unserem Schulstundenplan.« Neben Sport werden den jungen Patienten in der klinikeigenen Hans-Rettich-Schule die Hauptfächer Deutsch, Mathe, Englisch, Französisch oder Spanisch vermittelt.
Stimmung messen
»Bei unserem ersten Besuch auf der Station haben wir Werwolf gespielt«, erinnert sich Kayla Möller. Der Kontakt mit den jungen Leuten werde immer besser und man könne individuell auf jedes Kind eingehen. Bei jedem Besuch der »Buddies« erhalten die Mädchen und Jungen einen Bogen - eine Art Barometer, auf dem sie ihre Stimmung vor und nach dem Besuch eintragen können. Zumeist hat sich die Laune von »schlecht bis mittel« auf »gut bis sehr gut« verbessert.
»Die ›Buddies‹, die nichts mit dem normalen Leben auf der Station zu tun haben, bringen eine ganz andere Offenheit mit«, lobt Burkhard Brosig. Das Krankheitsbild sei für sie nicht relevant. Die Patienten auf der Station hätten mit unterschiedlichen Krankheiten zu kämpfen, so beispielsweise damit, eine chronische Organerkrankung wie Diabetes Mellitus Typ 1 zu akzeptieren. Andere hätten eine Somatisierungsstörung, die körperliche Beschwerden verursache, obwohl häufig keine klare organische Ursache gefunden werden könne. Manche Patienten wiederum litten unter Konversionsneurosen, bei denen der seelische Konflikt in körperliche Probleme umgewandelt wird. Auch junge Menschen mit Traumatisierung, beispielsweise nach einer Flucht, seien auf der Station.
* Namen von der Redaktion geändert