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»Einfach mal die Fresse halten«

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Mit spitzer Zunge auf der Bühne: Dieter Nuhr. Archivfoto: dpa/Zucchi © Red

Die Kongresshalle ist nicht sein Ding: Dieter Nuhr gastierte in Gießen - und zog wortmächtig vom Leder.

Gießen . »Ich bin ja ein sehr an Architektur interessierter Mensch«, sind die ersten Worte von Dieter Nuhr, als er die Bühne der Kongresshalle in Gießen betritt. Dann lässt er seinen Blick durch den Saal schweifen, um schließlich wenig begeistert zu folgern: »Aber so etwas hab ich noch nicht gesehen.«

Nach dem kleinen Diskurs über das - zugegebenermaßen - nicht wirklich hübsche und aus der Zeit gefallen wirkende Gießener Wohnzimmer, startet der mit zahlreichen Preisen »hochdekorierte« Comedian in sein Programm »Kein Scherz!«. Dabei lässt er sich zunächst von seinen Frühlingsgefühlen leiten, macht aber sogleich ein ewiges Dilemma aus, wenn der Mensch im Frühjahr »gleichzeitig paarungswillig und müde wird«.

Deutsches Wesen ist sein Thema

In gewohnter Manier räumt der selbsternannte Rebell gegen die Political Correctness im Anschluss mit ruhiger Stimme und spitzer Zunge mit Politik, Ideologie und Gesellschaft auf. Und hält dabei genüsslich seinem Publikum den Spiegel vor. Gerne setzt sich der gebürtige Weseler, der seit über 30 Jahren auf der Bühne steht, dabei mit dem »deutschen Wesen« auseinander. »Überall auf der Welt, wo man an so etwas glaubt, würden sich die Menschen darüber freuen, ins Paradies zu kommen. Nur der Deutsche sagt: Wenn das mal hier so bleibt.«

Hartnäckig widersetzt sich Nuhr dem Zeitgeist, der den Weltuntergang prognostiziert: »Ja, wir alle wissen, die Welt wird untergehen. Aber es wird voraussichtlich noch ein paar Millionen Jahre dauern.«

Er wolle sich keine Panik machen lassen, so Nuhr. Sorgen könne einem höchstens der real existierende Dilettantismus machen. »Politik wird für uns Komiker immer mehr zu einer echten Konkurrenz.« Fleißig teilt Nuhr nach allen Seiten kräftig aus. Auffällig oft trifft es dabei Grünen-Politiker: Ob Wirtschaftsminister Robert Habeck, der als Beispiel für Fachkräftemangel herhalten muss, Annalena Baerbock, die im nahen Osten für ihre feministische Außenpolitik belächelt werde, oder Anton Hofreiter, den der Kabarettist auf einem »Leopard« Richtung Osten reiten lässt,

Dass er, Dieter Nuhr, Gründungsmitglied der Grünen gewesen sei, erfährt das Publikum an diesem Sonntagabend übrigens gleich mehrfach von dem Comedian. Gleichzeitig betont der 62-Jährige immer wieder, dass er nicht mit Verschwörungstheoretikern und Rechten in einen Topf geworfen werden will. »Nur weil jemand sagt, das Wetter ist schön, ist er noch lange kein Klimawandelleugner.« Dramatisieren sei nicht sein Ding. Er wünsche sich zukunftsweisende Politik mit Augenmaß und Sinn für das Realistische.

Zu jungen Aktivisten bemerkt er lapidar: »Wir haben in dem Alter rumgemacht - heute kleben sie sich fest.« Was ihn wirklich umtreibe, sei das Wiedererstarken der AfD in den Umfragen. »Ich verstehe es nicht«, so Nuhr. »Es ist doch wie auf dem Bauernhof. Das Schwein ist mit dem Bauern unzufrieden, das verstehe ich. Aber das sagt doch nicht; Ich bin wütend, beim nächsten Mal wähle ich den Metzger.« Generell gelte: »Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Fresse halten«

Aber auch diejenigen, die alles problematisieren müssen, bekommen in dem Programm ihr Fett weg.

Nuhr fragt: »Warum muss ich meine Gäste vor der Party anrufen und fragen, ob jemand Veganer ist?« Um prompt zu antworten: »Arschgeleckt, es gibt das, was ich mag. Jeder kann sich gerne etwas mitbringen, wenn er sich nicht sicher ist, ob es ihm bei mir schmecken wird.« Beeindruckend bleibt, wie es Nuhr versteht, sein Publikum vom ersten Satz an in seinen Bann zu ziehen. Auch wenn dem einen oder der anderen bei so mancher Pointe das Lachen im Halse steckenbleibt, Richtig in Fahrt kommt er beim Thema »Gendern«. Für ihn ist das Gendern ein Prinzip, das Gesinnung in der Sprache sichtbar machen soll. Es fordere Unterwerfung unter ein ideologisches Konstrukt und erinnere an totalitäre Regime.

Artig verabschiedet sich der mehrfache deutsche Comedy-Preis-Träger am Schluss seines gut zweistündigen Programms: »Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder in Gießen. Dann hoffentlich in einer richtigen Halle.«

Wer den Auftritt verpasst hat: Dieter Nuhr gastiert am 2. Februar 2024 in der Wetzlarer Buderus Arena.

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