+
Die Organisation von Jazzsessions brachte sie zusammen (von links): Niklas Scholz, Dimitri Frenkel, Julien Briant und Lucas Auradniczek sind das Tulip Quartet. Foto: Schultz

Einmal quer durch die Jazzgeschichte

Gießen (hsch). Frischer Wind wehte durch die traditionsreiche Jazzkneipe im Seltersweg: Das Tulip Quartet schlug erstmals im Ulenspiegel auf. Die jungen Musiker spielten einerseits traditionellen Jazz, zum anderen erfreuten sie mit einer klaren, handwerklich untadeligen Spielweise. Ungewöhnliche Einfälle in Sachen Stil und Sound kamen hinzu und versetzten das Publikum in beste Laune.

Niklas Scholz (Altsaxophon), Dimitri Frenkel (Schlagzeug), Julien Briant (Gitarre) und Lucas Auradniczek (Bass) lernten einander durch die Organisation der regelmäßigen Jazzsessions in der Gießener Restaurant-Bar »Who killed the pig« kennen. Schnell ergaben sich weitere gemeinsame Auftritte, wodurch das Quartett mittlerweile ein Repertoire aufgebaut hat, das quer durch die Jazzgeschichte reicht. Das Programm des Ulenspiegel-Abends umfasste Musik von Größen wie Sarah Vaughan, Dave Brubeck, Art Blakey und George Gershwin, aber auch Popstar Robbie Williams wurde ins Repertoire aufgenommen. Dabei bewies das Quartett eine angenehm sensible Wandlungsfähigkeit.

Schon der Opener, Freddie Hubbards »Red clay«, kam in einschmeichelnd melodischem Duktus und schön transparent daher. Auffallend war Frenkels minimalistisches Drumset mit einer rudimentären »Bassbox« statt einer Trommel, sowie nur einem weiteren Becken und einer Hihat. Was sich allerdings in keiner Weise als nachteilig erwies. Außer den Verstärkern für Bass und Gitarre war auch ansonsten keine Elektronik in Gebrauch, was einen maßvollen Umgang mit der Lautstärke bedeutete.

John Legends Evergreen »All of me« besaß dann einen ansteckenden, schwingenden Groove, man meinte fast, einen frischen Frühlingswind durch den Jazzkeller wehen zu spüren. Hier erwies sich Niklas Scholz erstmals als harmoniegeneigter, uneitler Solist mit schönem Ton. Deutlich wurde auch die inhaltlich geschlossene Musizierweise der Band, was einen schlackenfrei positiven Eindruck machte: hier wurde Musik um der Musik willen gespielt. Trotz des rundum energischen Engagements blieb es stets bei einer werkdienlichen Arbeitsweise.

Die kulminierte erstmals in Sarah Vaughans »Lullaby of Birdland«. Auffallend: die interessanten Saxophonlinien als funkelnde Verzierungen; es war das erste Glanzlicht des kultivierten Abends.

Noch besser gelang Gershwins »Summertime«, der klassische Blues-Meilenstein aus der Oper »Porgy and Bess«. Statt gewohnt retardiert, wurde er hier mit beschwingtem Groove vorgetragen, leichtfüßig doch hochpräzise. Gitarre und Bass, sorgfältig aufeinander abgestimmt, passten exzellent in die narrative Spielweise. Hier übernahm der bislang eher zurückhaltende Niklas Scholz die Führungsrolle und veredelte den Titel mit herausragenden Sax-Beiträgen. Im Finale erwies das Quartett dem US-Komposition dann noch einmal größten Respekt und schloss sanft ab; herausragend. Riesenapplaus.

In Robbie Williams‹ »Have you met Miss Jones« hatte Dimitri Frenkel dann seinen Moment. Er legte einfach mit zwei Besen so viel Gefühl, Abwechslung und felsenfesten Groove in sein Solo, dass man nur den Hut ziehen konnte, eine Bereicherung.

Das Tulip Quartet hielt dieses Niveau und lieferte noch einige weitere Beweise seines Könnens, vor allem mit der unaufgeregten, individuellen Darstellungsweise. Fazit: Diese Formation passt prima in die Gießener Jazzszene.