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Entropie mit Bierglas erklärt

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Erklären den Klimawandel und seine Auswirkungen: Prof. Harald Lesch (r.) und Dr. Udo Ornik. Foto: Zielinski © Zielinski

Gießen . »Wenn wir die Natur krank machen, machen wir uns krank«, stellte Prof. Harald Lesch fest. Der bekannte Astrophysiker, Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator diskutierte mit dem promovierten Physiker, Informatiker und Vorsitzendem der ZOV-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Dr. Udo Ornik, über den »Klimawandel in Zeiten von Pandemie und Krieg«.

Die gleichaltrigen Wissenschaftler sind seit Kindheitstagen befreundet und haben die gleiche Schule in Mücke besucht. Dem Publikum im gut besuchten Gießener Stadttheater war sofort klar: Hier stimmte die Chemie.

Lange geplant

Ein gemeinsamer Auftritt im Stadttheater sei bereits vor der Corona-Pandemie geplant gewesen, erklären die Freunde. Nun habe man mit dem 4. Juli - dem Unabhängigkeitstag - zufällig einen »prophetischen Termin« gewählt.

»Erneuerbare Energien kommen direkt vom Himmel und unsere Landkreise werden die Energiequellen der Zukunft sein«, führte Lesch aus. Die Sonne sei ein gewaltiger Fusionsreaktor, der die Planeten erhitze. Ohne CO2 und Wasserdampf betrüge die mittlere Temperatur auf der Erde minus 18 Grad. Das CO2-Molekül absorbiere effektiv Sonnenlicht und die gewonnene Vibrationsenergie übertrage es auf die Luftmoleküle, ohne sich zu verändern. Aus diesem Grund reiche ein kleiner Anteil aus.

Bereits Svante Arrhenius - Nobelpreisträger 1903 - habe eine globale Erwärmung aufgrund des anthropogenen CO2 vorausgesagt. Auch eine lange geheim gehaltene Hochrechnung von Exxon aus dem Jahre 1982 habe dies belegt. Dennoch hätten Ölkonzerne über Institute stets verlauten lassen: »Der neue Klimawandel hat nix mit uns zu tun.« Über 40 Jahre lang habe man behauptet, keine Probleme zu haben. Im Gegenteil äußerte sich ein ehemaliger Energiemanager mit den Worten: »Keine Sorge, es wird kälter.«

»Bei einer solchen Skrupellosigkeit kann man sich nur fragen, ob die keine Kinder haben?«, so der Wissenschaftsjournalist. 3,7 Prozent betrage der menschengemachte Zuwachs an CO2 pro Jahr. Dieses Problem werde durch Flächenverbrauch, beispielsweise zum Bau von Autobahnen oder Siedlungen, weiter verstärkt. »96 Prozent natürlicher CO2-Anteil sind der Anteil, der noch im Gleichgewicht ist. Das ist die Differenz zwischen Leben und Sterben auf der Erde.« In den letzten 200 Jahren habe sich der CO2-Anteil auf der Erde etwa um 50 Prozent erhöht.

Die beiden Wissenschaftler warfen die Frage auf, ob man einen Krieg gegen die Natur gewinnen könne. »Man kann ja leider nicht mit ihr reden.« Die dramatische Zunahme von CO2-Emissionen auf der ganzen Welt verdeutlichte ein kurzer Film, mit »schaurig schönen Bildern«, der von dem Trio »YuP« (Jürgen Thorn, Peter Ehm und Uli Pförtner) musikalisch untermalt wurde.

Brände in den USA und Australien, die Freisetzung von Methan, das Schmelzen der Gletscher im Himalaya sowie die Trockenheit in Oberitalien (»Der Po ist im Arsch«) seien nur einige Beispiele für die globalen Folgen. Aber wie könne man Menschen, die schon Corona leugneten, davon überzeugen, dass der Klimawandel eine echte Bedrohung darstelle? In diesem Zusammenhang wiesen die Wissenschaftler auch auf industriegelenkte Scheinbürgerinitiativen, geführt von gut getarnten Vertretern der Atom-, Kohle- und Automobil-Lobby hin.

Anhand eines Bierglases erklärte Prof. Lesch das Grundgesetz der Entropie. Irgendwann sei kein Schaum mehr da, weil dieser eine niedrigere Entropie besitze. »Ein Naturgesetz besagt, dass die Entropie (Unordnung) in einem geschlossenen System, das Energie umwandelt, stetig zunimmt.« Bei begrenzten Ressourcen sei diese physikalische Schranke nur umgehbar, wenn endliche fossile Energieträger auf »unendlich verfügbare Quellen umgestellt würden, um Ordnung in das Chaos zu bringen«.

Auch wie schwer es ist, eine Kilowattstunde Strom zu erzeugen, stellten sie bildlich dar: Für eine 60-Grad-Wäsche gelte es, zehn Stunden zu radeln. Mehr Photovoltaik-Anlagen - vor allem auch auf kommunalen Gebäuden - seien wünschenswert. Doch oftmals würde hier Denkmalschutz vorgeschoben. »Die Menschen sind wohl geschützt davor, zu denken«, interpretierte Lesch.

Verbrauch muss reduziert werden

Wie aber ist die Energiewende zu schaffen? »Nur mit regenerativen Energien Primärenergie zu schaffen, wird nicht möglich sein«, so Ornik und Lesch. Sie forderten eine deutliche Reduktion des Energieverbrauches, einen Ausbau der Hauptquellen Sonne und Wind sowie eine internationale Zusammenarbeit. »Nur zusammen wird eine Energiewende gelingen. Ziel sollte sein, diese zu einem großen gesellschaftlichen Projekt zu machen.« Warum sollte Elon Musk mit seinem auf dem Mars geplanten »Terraforming« nicht erst mal in der Wüste beginnen?

Mit »Desertec« stellten die Beiden eine Initiative vor, die Ökostrom an energiereichen Standorten der Welt erzeugen will. Er sollte dort für den lokalen Verbrauch genutzt, aber auch in Industrieregionen exportiert werden.

Nichtstun und für weitere Anpassungen zahlen, gehe nicht. »Dann werden wir das Problem nie lösen.« Auch ein Zurückdrehen der Technik gehe nicht ohne »katastrophale Versorgungs- und Energieprobleme«, da die Bevölkerung gewachsen sei, weiterwachse und versorgt werden müsse. Bereits in den 50er Jahren hätte man auf Wind- statt auf Kernkraft setzen sollen.

Im Anschluss beantworteten Lesch und Ornik Fragen, die das Publikum in der Pause einreichen konnte. Eine Frage lautete, warum die Regierung nicht mehr getan habe. »Die hat in den letzten Jahren sehr viel ausgebremst«, so die Experten. Oder auch nicht ganz ernst gemeinte Fragen, beispielsweise wie viel die Solar- oder Windkraftwerke den Wissenschaftlern für ihre Aussagen zahlen würden. »Wir haben nie was bekommen, sondern sind Überzeugungstäter.«

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