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Entschädigungsrecht im Fokus

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Das neue Forschungsprojekt an der Justus-Liebig-Universität soll Antworten auf offene Fragen im Zusammenhang mit dem juristischen und politischen Umgang mit dem Holocaust finden. Archivfoto: Mosel © Red

Die juristische Aufarbeitung der Folgen der durch die Nationalsozialisten begangenen Verbrechen wirft zahlreiche Fragen auf. Welche Instrumente eignen sich zur rechtlichen Wiedergutmachung?

Gießen (red). Die juristische Aufarbeitung der Folgen der durch die Nationalsozialisten begangenen Verbrechen wirft zahlreiche Fragen auf. Welche Lehren lassen sich nach den Schrecken des Holocaust aus den bisherigen entschädigungsrechtlichen Maßnahmen ziehen? Welche Instrumente eignen sich zur rechtlichen Wiedergutmachung? Wie kann die Perspektive der Opfer von Gräueltaten besser berücksichtig werden? Welche Schritte zur Bewältigung der Folgen der Tragödie sind angemessen?

Rechtliche Wiedergutmachung

Ein neues Forschungsprojekt mit dem Titel »Die Entwicklung rechtlicher Wiedergutmachungsinstrumente nach dem Holocaust als Lernprozess (Post-Holocaust-Remedies)« am Fachbereich Rechtswissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) soll dazu beitragen, Antworten auf offene Fragen im Zusammenhang mit dem juristischen und politischen Umgang mit dem Holocaust zu finden.

Das von Prof. Thilo Marauhn, Professur für Öffentliches Recht und Völkerrecht, geleitete Drittmittelprojekt soll den nach 1945 entstandenen rechtlichen Rahmen für die entschädigungsorientierte Aufarbeitung der Folgen der NS-Verbrechen dokumentieren und kritisch beleuchten. Erforscht werden die Entwicklung und die Auswirkungen des Entschädigungsrechts im Zusammenhang mit dem Holocaust.

Beteiligt sind zudem Wissenschaftler der Reichmann-Universität in Herzliya, Israel, und aus dem Instituto Colombo-Alemán para la Paz (CAPAZ) in Bogotá/Kolumbien. Einbezogen werden dazu unterschiedliche Perspektiven aus den Rechts-, Geschichts- und Sozialwissenschaften, unter Berücksichtigung von Transitional Justice. Das Projekt wird von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Rahmen der Bildungsinitiative NS-Unrecht bis Ende Januar 2024 mit rund 385 000 Euro gefördert.

Keine schlüssige Systematik

»Das Entschädigungsrecht für die Opfer des Holocaust ist zwar mehr als ein Flickenteppich. Aber es lässt an vielen Stellen eine schlüssige Systematik vermissen. Das Forschungsprojekt soll helfen, die historischen und politischen Faktoren zu verstehen, die diesen Teil der Rechtsordnung geprägt haben. Es soll auch Anregungen für den künftigen Umgang mit der entschädigungsrechtlichen Seite der Aufarbeitung von Unrechtsregimen geben«, erläutert Projektleiter Prof. Marauhn. »Zugleich wird unser Team mit den Projektergebnissen einen Beitrag zur Justierung künftiger Entschädigungspraktiken bei der Vergangenheitsbewältigung in Politik und Gesellschaft aufzeigen.«

Kern des Projekts wird eine für den Sommer 2023 geplante »Summer School« sein, an der 25 israelische, kolumbianische und deutsche jeweils mit Stipendien ausgestattete Studierende teilnehmen werden. Die Teilnehmer werden sich jeweils zwei Wochen lang an der Reichmann-Universität in Herzliya, Israel, und an der JLU Gießen mit der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen auseinandersetzen und dabei auch Perspektiven aufzeigen, wie die gewonnenen Erkenntnisse in die Gestaltung eines bisher an deutschen Hochschulen nicht bestehenden einschlägigen akademischen Lehrprogramms einfließen können.

Die »Summer School« wird zudem von Zeitzeugengesprächen und Exkursionen zu für die Entschädigungsprozesse relevanten Einrichtungen begleitet, etwa zum Yad Vashem und zu einschlägigen Ministerien.

Ende 2023 sollen erste Ergebnisse auf einer internationalen Tagung mit Forschenden und Teilnehmenden aus der Praxis diskutiert werden. Prof. Marauhn und sein Team setzen sich dafür ein, dass die Perspektiven der von entschädigungsrechtlichen Maßnahmen Betroffenen und der Opfer nationalsozialistischen Unrechts in allen Phasen des Projekts, insbesondere in der kritischen Debatte, berücksichtigt werden. Ihre Beteiligung nimmt folglich eine zentrale Stellung ein.

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