Erkenntnisse aus dem Kindergarten

Mit Charme, Witz und Tiefgang: Beim Poetry Slam mit sechs Teilnehmern im ausverkauften Jokus ging es unter anderem um das Leben eines Bechers.
Gießen. Auch die zwölfte Ausgabe des Poetry Slam im ausverkauften Jokus zeigte die ganze Bandbreite und Vielfalt des Dichterwettstreits auf. Wo sonst kann der Zuschauer Texten lauschen, die mal absurd, mal lustig sind oder zum Nachdenken anregen? Zu den Themen der sechs beteiligten Wortakrobaten zählten etwa das Leben aus der Sicht eines Bechers und das Ruhrgebiet mit all seinem Charme, aber auch sexualisierte Gewalt.
Freiheitsdrang und Konsumwahn
»Meine Mama sagt: Geh nicht im Dunkeln alleine raus - aber ich will frei sein. Meine Oma sagt: Zieh dich züchtig an - aber ich will frei sein. Meine Mama sagt, verhalte dich unauffällig - ich will frei sein.« Ria aus Heidelberg nahm bei ihrem Beitrag »Gib Acht« kein Blatt vor den Mund und lieferte einen ersten emotionalen Höhepunkt. Auch »Ännikay« aus Kassel setzte bei ihrem titellosen Text auf viel Gefühl. Sie kritisierte den Konsumwahn der Menschheit. »In anderen Welten leben wir friedlich in Liebe und mit mehr Menschlichkeit. Ich hoffe auch dieser Planet ist dafür bald bereit. Und ich wünsche ihm, dass er sich von all der Schwermut befreit. Hört ihr nicht wie diese Erde bitterlich nach Hilfe schreit?«
Artem Zolotarov lieferte mit »Episodenmenschen« einen Beitrag, der sich als Liebes- wie auch Hassgedicht herausstellte und von der Slammer-Szene selbst handelte. »Denn wir sind Episodenmenschen, glaube kein Wort im Bühnenschein. Wir wollen keine Helden werden, nur nicht ohne Stimme sein. Du fühlst und fügst die Welt zusammen, bist Heimat mir und fernster Ort. Du bietest Raum mich stattzufinden, du gibst mir Wort, du lässt mir Wort.«
Für eine ganz andere, humoristische Tonlage sorgte Michael Goehre aus Essen. »Ich bin vor sieben Jahren freiwillig in das Ruhrgebiet gezogen, das sagt schon einiges aus«, erklärte der Metal-Fan. Er überzeugte im Anschluss mit seiner »Ode an den Ruhrpott«. »Ich brauche es ein bisschen asozial, zumal ich in Essen wohne - eine Hochburg der Ruhrgebiets-Räudigkeit. Oder wie es der Volksmund ausdrückt: Wenn das Essen ist, will ich nicht wissen wie Kotze aussieht«, erklärte der 47-Jährige.
»Mit diesem Kerl war nicht gut Kirschen essen, Erdbeeren wahrscheinlich auch nicht. Generell schien er keinen Hunger zu haben, nur einen sehr großen Appetit auf körperliche Gewalt.« So zog Peter Janicki Parallelen zwischen einem Leben als Becher und dem Leben eines Menschen. »Handwäsche oder Spülmaschine - der Klassiker. Als ich jung war, habe ich die Handwäsche bevorzugt. Sie ist gründlich, persönlich, ein echter Kontakt, aber auch riskanter. Die meisten Unfälle passieren in der Spüle. Jetzt, wo ich älter bin, habe ich Angst davor, kann die Spüle weniger genießen. Interessant, an sich selbst zu sehen, wie sich Einstellungen über die Jahre verändern. Im Schrank stehe ich gerne bei den Campingbechern. Wenn die mal rauskommen, haben die richtig was zu erzählen. Sie sehen andere Schränke, lange Autofahrten und genießen das Frühstück mit Blick auf das Meer.«
»Ich komme aus Marburg, deswegen habt ihr wahrscheinlich nicht so laut geklatscht«, scherzte Stella Jantosca beim Gang auf die Bühne. Ein paar Minuten später viel der Applaus umso größer aus. Mit viel Charme, Witz und Tiefgang sprach die Studentin unter dem Titel »Eintagsfliegen« über die Arbeit in einem Kindergarten und die dabei gewonnenen Erkenntnisse. »Findet euer inneres Kind und geht spielen. Rennt durch Wälder, lasst euch verzaubern von Wiesen. Erkennt die Magie, die in euch steckt, und findet heraus, welches Eis euch am liebsten schmeckt - nicht welches die wenigsten Kalorien hat.«
Geschenkkarte als erster Preis
Neben Stella, die von der Publikumsjury mit satten 29 von möglichen 30 Punkten belohnt wurde und somit sicher im Finale stand, durften sich »Ännikay« und Michael Goehre über den Finaleinzug freuen. Dort lieferte sich das Trio einen engen Kampf um die Dichterkrone und präsentieren dabei eine Anleitung zum Glücklichsein, einen Festivalguide im betagten Alter sowie die ultimative Form der Prokrastination. Am Ende stand die Marburgerin Stella Jantosca als Siegerin fest und freute sich über eine von den Zuschauern beschriftete Geschenkkarte, die ihr feierlich von Moderator Benedict Hegemann überreicht wurde.
Der nächste Poetry Slam im Jokus findet am 20. April um 20 Uhr statt. Tickets kosten 12 (8) Euro.