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Ernsthafte Gespräche oder langer Streik am UKGM

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Von: Ingo Berghöfer

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500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKGM in Gießen versammeln sich, um den Beginn ihres 100-Tage-Ultimatums an den Arbeitgeber, das Rhön-Klinikum, zu verkünden. Auf einer kleinen Bühne berichten Beschäftigte von einem immer belastender werdenden Arbeitsalltag. Foto: Berghöfer © Berghöfer

Die Beschäftigten des Uniklinikums Gießen und Marburg haben dem Arbeitgeber ein Ultimatum gestellt, für Entlastung zu sorgen. Wie prekär die Lage ist, machten sie nun abermals sehr deutlich.

Gießen . Am Ende hatte Gießen knapp die Nase vorn: 400 Teilnehmer an der Protest-Demo zur Verkündung des 100-Tage-Ultimatums an den Arbeitgeber meldete via Live-Schalte der Standort Marburg des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKGM). In Gießen hatten sich noch mal hundert Mitarbeiter mehr vor dessen Haupteingang versammelt.

Sollten binnen dieser hundert Tage die Arbeitgeber nicht ernsthafte Gespräche über eine Entlastung des Klinikpersonals beginnen, drohe dem Rhön-Klinikum ein langer Streik, betonten viele Redner auf der kleinen Bühne, die vor dem Eingangsportal aufgebaut worden war.

Buhrufe für Dorn

Der Vorstandsvorsitzende des privaten Betreibers, Gunther K. Weiß, nahm es gelassen und das »ehrgeizige Ziel, in hundert Tagen miteinander zu sprechen«, gerne an. Man sei nach schnellen und konstruktiven Gesprächen bislang immer zu einem Ergebnis gelangt.

Dafür gab es zwar keinen Beifall, aber auch keine Buhrufe wie für Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn, als die es ablehnte, im Gegensatz zu den beiden Landtagsabgeordneten Katrin Schleenbecker (Grüne) und Nina Heidt-Sommer (SPD) sowie Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher und dem CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Frederik Bouffier die Forderung nach einem Tarifvertrag »Entlastung« zu unterschreiben, weil sie den ja gar nicht schließen könne. Man habe da schlicht unterschiedliche Rollen. »Wollen Sie eine echte Unterstützung oder nur eine symbolische Geste, zu der ich einfach nur Nein sagen kann?«, fragte Dorn in die Runde.

Wie prekär die Lage vor allem der Pflegekräfte - aber nicht nur der - am UKGM mittlerweile offenbar ist, verdeutlicht nicht nur die Zahl von 4163 Mitarbeiter-Unterschriften. Damit stellen sich mehr als 70 Prozent der Belegschaft hinter die Forderung nach verbindlichen Regeln zur Entlastung aller Arbeitsbereiche oder zur Sicherstellung und Verbesserung der Ausbildungsqualität sowie von wirksamen Konsequenzen, wenn diese Regeln nicht eingehalten werden.

Auch die Erlebnisse aus ihrem UKGM-Alltag, die einige Mitarbeiterinnen auf der Bühne schilderten, gingen nicht nur der Politprominenz unter die Haut. So berichtete eine Auszubildende, wie sie aufgefordert worden sei, sich alleine um ein Neugeborenes zu kümmern. Weil sie sich in der Lehrzeit mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe überfordert fühlte, habe sie ihre Kollegin mit den Worten »Muss ich das also auch noch selbst machen« in die Schmutzkammer geschickt.

Belastung statt Hilfe

Aufgrund der Arbeitsverdichtung bleibe dem medizinischen Personal kaum noch Zeit für die Ausbildung des Nachwuchses. Deshalb würden sich viele Azubis oft eher als Belastung denn als Hilfe für die überlasteten Kollegen sehen.

Eine andere Pflegerin erzählte, dass selbst auf der Palliativ-Station Menschen aufgrund des Personalmangels mitunter stundenlang unnötig warten müssten. Menschen, für die jede Stunde kostbar sei, weil ihnen eben nicht mehr viele bleiben würden.

Die Palliativ-Station habe Anfang des Monats kurz vor der Schließung oder Verlegung gestanden. »Wir haben nicht genug Zeit für diese Menschen, wir haben nicht mal genug Zeit für uns selbst«, sagte die junge Frau, die dabei sichtlich mit den Tränen kämpfen musste.

Viel Beifall erhielt eine weitere Pflegerin, die die Phrase von der Uhr, die auf fünf vor zwölf stehe, nicht mehr hören konnte. »Am UKGM haben wir längst halb eins.« Das böse Wort: »Hauptsache satt und sauber« höre man immer öfter an einem »Haus der Maximalversorgung«, dem es zunehmend an Personal zur Versorgung der Patienten fehle.

Eine andere Mitarbeiterin schilderte, wie zwei positiv auf das Coronavirus getestete Patienten mangels Personal mehrere Stunden lang in der Notaufnahme mit etlichen anderen Patienten gelegen hätten. »Da fragt man sich: Was, wenn das die eigene Mutter oder der eigene Opa wäre?«

Kritische Worte fanden die Redner für die Einigung über die bislang zurückgehaltenen Landesmittel für das UKGM zwischen der Landesregierung und der Rhön-Klinikum AG. Diese Einigung bringe keine Entlastung, sondern verhinderte vorerst nur eine weitere Belastung der Mitarbeiter.

Sache der Tarifpartner

Das sah die Ministerin anders. Doch, die Einigung bringe durchaus eine Entlastung und auch, was die Beschäftigungssicherheit angehe, sei sie sehr zufrieden. Die mehr als 800 Millionen Euro, die jetzt vom Land und der Rhön AG ans UKGM fließen würden, seien ein echtes Bekenntnis zum Standort. Auch weil sich die Rhön AG verpflichtet habe, »mit echten Eigenmitteln nachzuschießen«, wenn die vereinbarten Zahlungsanteile nicht ausreichen würden. Angela Dorn versicherte zudem, dass die schwarz-grüne Landesregierung die Bedürfnisse der UKGM-Beschäftigten im Blick habe. »Alles weitere ist Aufgabe der Tarifpartner.«

Durch die aktuelle Entwicklung in ihrer grundsätzlichen Haltung bestätigt sah sich Nina Heidt-Sommer: »Die Privatisierung ist und war ein Fehler«, sagte die SPD-Landtagsabgeordnete anschließend und ernte dafür viel Applaus.

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