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Ersatz für traditionelle Versuchstiere

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Die Larven des Tabakschwärmers in der medizinischen Bildgebung: A: 50 Larven auf der Patientenliege im MRT, B und C: 3D-Aufnahmen des Larvendarms im Mikro-CT, D: MRT- und CT-Scans der Larven, E und F: Desoxyglukcose-PET-Scan. Foto: Anton Windfelder/Fraunhofer IME © Anton Windfelder/Fraunhofer IME

Im Vergleich zu traditionellen Labortieren wie Ratten oder Mäusen bieten Insekten wie der Tabakschwärmer mehrere Vorteile. Ihr Einsatz in der Forschung ist schneller und kosteneffizienter.

Gießen (red). Insekten wie der Tabakschwärmer - eine Falterart aus Amerika, die als Schädling bekämpft wird - können an den gleichen oder ähnlichen Erkrankungen leiden wie der Mensch. Etwa 75 Prozent der Gene, die eine Erkrankung bei Menschen auslösen können, sind auch bei Insekten vorhanden. Larven des Tabakschwärmers können als Modellorganismus für menschliche Erkrankungen genutzt werden. So können Erkrankungen besser verstanden sowie neue Therapien und Diagnosemethoden entwickelt werden. Im Vergleich zu traditionellen Labortieren wie Ratten oder Mäusen bieten Insekten wie der Tabakschwärmer mehrere Vorteile: Ihr Einsatz in der Forschung ist schneller und kosteneffizienter als Tierversuche mit Säugetieren und mit weniger Belastungen für die Tiere verbunden.

In der renommierten Fachzeitschrift »Nature Communications« berichtet ein internationales Wissenschaftlerteam um den Gießener Forscher Dr. Anton Windfelder von der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und dem Gießener Institutsteil Bioressourcen des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME über seine Entdeckung: Die Raupen des Tabakschwärmers können genutzt werden, um chronisch entzündliche Darmerkrankungen zu erforschen und neue dringend benötigte Therapien zu entwickeln und zu testen. Die Methode bietet zudem den Vorteil, dass viele Tiere in kurzer Zeit untersucht werden können. In der Computertomographie lassen sich bis zu 100 Tiere in wenigen Sekunden untersuchen. Im Unterschied zu traditionellen molekularbiologischen oder histologischen Methoden überstehen die Tiere die Narkose und Bildgebung sehr gut und leben danach unversehrt weiter.

»Entzündungen des Magen-Darmtrakts gehören zu den häufigsten Erkrankungen weltweit und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie beispielsweise Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa sind global auf dem Vormarsch«, so Dr. Windfelder. »Das Immunsystem des Darms und die Struktur des Darmepithels der Tabakschwärmerlarven sind mit denen von Säugetieren vergleichbar. Im Unterschied zu anderen Insekten, wie etwa der Taufliege Drosophila, sind die Raupen des Tabakschwärmers jedoch groß genug für die medizinische Bildgebung«.

Innovative Bildplattform

Gemeinsam mit nationalen und internationalen Partnern aus Düsseldorf und New York haben die Gießener Forscherinnen und Forscher für Larven des Tabakschwärmers eine innovative und einzigartige Bildgebungsplattform entwickelt.

»Wir nutzen bildgebende Verfahren aus der Radiologie und Nuklearmedizin und können mittels Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronen-Emissions-Tomographie (PET) eine Entzündung im Darm der Tiere zielgenau diagnostizieren«, so die ebenfalls an der Studie beteiligte Medizinerin Prof. Gabriele Krombach, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Gießen.

Die Darmentzündung der Insektenlarven wird in Analogie zu einer Darmentzündung beim Menschen mit Kontrastmitteln und speziellen Markern wie FDG (18F-Desoxy-glukose) diagnostiziert. Medikamente wie beispielsweise Cortison, die bei akuten Schüben von chronisch entzündlichen Darmerkrankungen eingesetzt werden, zeigen auch bei den Larven des Tabakschwärmers eine deutliche Reduzierung der Entzündung.

Kostengünstiger

Mit der Publikation in Nature Communications macht das Team auf die erfolgreiche alternative Verwendung von Insekten wie dem Tabakschwärmer in der frühen präklinischen Forschung aufmerksam. »Natürlich können Insekten Mäuse und Ratten nicht vollständig ersetzen«, ergänzt der ebenfalls an der Studie beteilige renommierte Zoologe Prof. Andreas Vilcinskas, Leiter des Fraunhofer IME in Gießen und des Instituts für Insektenbiotechnologie an der JLU. »Erkenntnisse aus der Zellkultur lassen sich oft nicht im lebenden Tier reproduzieren. Genau hier könnten Versuche mit Insekten wie dem Tabakschwärmer weiterhelfen, um vielversprechende neue Wirkstoffe und Therapien auszuwählen, die dann in traditionellen Modellen weiter evaluiert werden.« Die Forschung würde dadurch erheblich beschleunigt und wäre kostengünstiger.

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Dr. Anton Windfelder Foto: Pia Windfelder © Pia Windfelder
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Größenvergleich: Eine Tabakschwärmerlarve neben einer Labormaus. Foto: Kim Weigand/Fraunhofer IME © Kim Weigand/Fraunhofer IME

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