Erster Gefängnisbesuch nach zwei Jahren

Ob und wann der Gießener Patrick Kraicker aus einem türkischen Gefängnis entlassen wird, ist weiter unklar. Zumindest aber konnte ihn seine Mutter nun nach zwei Jahren wieder in die Arme nehmen.
Gießen . Die Haftprüfung läuft noch: Ob und wann der Gießener Patrick Kraicker vorzeitig aus einem türkischen Gefängnis entlassen wird, ist daher weiterhin unklar. Zumindest aber konnte Claudia Schmuck ihren Sohn nach mehr als zwei Jahren wieder besuchen - und in die Arme nehmen. »Das war schon sehr emotional. Uns beiden kullerten die Tränen übers Gesicht«, erzählt die in Hildesheim lebende Mutter im Gespräch mit dem Anzeiger. Und offenbar hatten die Verantwortlichen dort »einen guten Tag«, wie Claudia Schmuck vermutet. Ursprünglich sei die Besuchserlaubnis nur für eine halbe Stunde erteilt worden, »das haben sie dann sogar auf 50 Minuten ausgedehnt«. Vor allem war sie »unglaublich froh und glücklich, ihn wohlauf zu erleben«. Zumal die wöchentlichen Telefonate inzwischen von 20 auf zehn Minuten begrenzt worden seien.
Im März 2018 war der Gießener in einer militärischen Sperrzone in der Nähe der syrischen Grenze von türkischen Sicherheitskräften aufgegriffen und festgenommen worden. Er soll beabsichtigt haben, sich im Nachbarland der Kurdenmiliz YPG anzuschließen, einem Ableger der auf den Terrorlisten der Europäischen Union und der Türkei geführten PKK. Sowohl eine E-Mail als auch ein Zeuge sollen ihn belastet haben. Ein Gericht verurteilte ihn wegen »Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation« zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten. Seine Mutter, Anwälte, Freunde und Sympathisanten sind von der Unschuld des 32-Jährigen überzeugt. Seine juristischen Vertreter sehen Kraickers »Recht auf ein faires Verfahren« verletzt und haben Klage beim Verfassungsgericht der Türkei eingereicht. Insbesondere würden stichhaltige Beweise für die Vorwürfe fehlen.
Die Familie des Gießeners hat schon auf vielfältige Weise Unterstützung erfahren. Im Februar 2020 organisierte und finanzierte der Hildesheimer Bundestagsabgeordnete Bernd Westphal (SPD) einen ersten Besuch von Claudia Schmuck im Maltepe-Gefängnis. Diesmal sei dies mithilfe des Kölner Vereins »Stimmen der Solidarität« und des hiesigen Arztes Petr Brozik gelungen. »Für die Familie ist das eine furchtbare Situation. Ich nehme nicht an, dass der Junge ein ordentliches Verfahren bekommen hat«, erklärt der Mediziner auf Anfrage seine Motivation. »Aus Mitgefühl und alter Verbundenheit« sei es ihm ein Bedürfnis gewesen, einen Beitrag zu leisten.
Vor der Fahrt in die Haftanstalt musste sich Claudia Schmuck zunächst eine Genehmigung seitens der Staatsanwaltschaft in Istanbul einholen und ihre Identität nachweisen. Das deutsche Konsulat habe ihr dafür eine Übersetzerin zur Seite gestellt, auch einer der Anwälte war mit dabei. »Das lief ohne Hindernisse und sehr reibungslos«, berichtet sie.
Trotzdem gelte es, stets vorsichtig zu sein und nichts zu tun oder zu sagen, das Patrick schaden könnte. »Aus Sicherheitsgründen« seien die Gesprächsinhalte der beiden ebenfalls überschaubar gewesen: Wie geht es Verwandten, Freunden und Bekannten? Wie ist die aktuelle Lage in der Ukraine, über die Gefangene nur wenige Informationen erhalten? Und wie geht es für Patrick Kraicker nach seiner erhofften baldigen Entlassung weiter? In dem Bescheid über die Strafvollzugsdaten sei der 1. Dezember 2022 als reguläres Datum vermerkt, erklären seine Anwälte. Liegen die Voraussetzungen vor, könnte der Aufenthalt hinter Gittern noch schneller enden. Offiziell dauert seine Haftstrafe bis zum 23. Juni 2024.
Momentan verbringe der 32-Jährige die Zeit meist damit, Sport zu treiben, zu basteln, zu lesen, ein bisschen Türkisch und Arabisch zu lernen sowie sein Englisch zu verbessern. Da er in seinem Trakt der einzige Deutsche ist und es kein deutsches Fernsehen gibt, erleichtert dies freilich auch die Verständigung. »Körperlich scheint Patrick die Haft ganz gut wegzustecken, da macht er einen relativ fitten Eindruck«, schildert Claudia Schmuck nach ihrer Rückkehr vom Bosporus. Wie er all das psychisch verkraftet, werde sich aber wohl erst noch zeigen.