»Es braucht eine besondere Antenne«

Drei junge Schauspieler bilden das Ensemble des neugegründeten Jungen Theaters, das sich an ein junges Gießener Publikum richtet. Die nächste Premiere gibt es am Samstag.
Gießen. Kinder sind ein ganz spezielles Theaterpublikum: direkt, unverstellt und manchmal auch richtig laut. Damit bescheren sie den Bühnenschauspielern viele schöne Momente. Da sind sich Dascha Ivanova, Izabella Radic und Stephan Hirschpointner einig. Zugleich aber sorgt dieses Publikum damit auch für herausfordernde Situationen, berichtet das Trio, das seit dieser Saison das neugegründete Ensemble des Jungen Theaters bildet. Nun steht die nächste Premiere an: Das Drama »Die Kriegerin« erzählt von zwei Mädchen im Neonazi-Milieu und richtet sich an ein Publikum ab 15 Jahren. Im Gespräch mit dem Anzeiger erzählen die Ensemblemitglieder von ihren ersten halben Jahr als Junges Theater.
Erstes festes Bühnenengagement
Für die beiden jungen Frauen ist es im Gegensatz zu dem seit sechs Jahren in Gießen beschäftigten Hirschpointner nicht nur das erste feste Engagement an einem Theaterhaus, sondern zugleich auch eine intensive, neue Erfahrung. Denn für das Kinder- und Jugendtheater gibt es keine spezielle Ausbildung. Zugleich geht es insbesondere um den richtigen Ton, um die jeweilige Altersgruppe zu erreichen.
Das Musiktheaterstück »Ente, Tod und Tulpe« etwa, das sich an Kinder ab fünf Jahren richtet, bedürfe einer ganz anderen Ansprache als das Schauspiel »Luft nach oben«, das vom Ende der Grundschulzeit erzählt. Dascha Ivanova erzählt, dass die Darsteller ihren Zuschauern dabei sehr nahe kommen, »man bekommt alles mit. Und die Reaktionen sind manchmal das Beste an meinem Tag«, lacht die 1998 in Nowosibirsk geborene Schauspielerin.
Hinzu kommt, ergänzt die ein Jahr jüngere Izabella Radic, dass viele junge Besucher in den Stücken ihre ersten Theatererfahrungen sammeln. Reinrufen gehört häufig dazu, wird manchmal auch ausdrücklich gewünscht. »Das kann schön sein, wenn es lebendig zugeht. Zudem ist es näher, ungefilterter«, ergänzt Stephan Hirschpointner, mit 31 Jahren der Älteste und erfahrenste Schauspieler des Trios.
»Es geht dabei nicht nur darum, was von uns kommt. Sondern wir müssen auch mehr auf die Dynamik im Raum reagieren, als im Abendspielplan. Dafür braucht es eine besondere Antenne.« Familienvorstellungen an den Wochenenden unterscheiden sich dabei von Werktagen mit vielen Schulklassen im Saal: »Dann merke ich: aha, es ist ruhiger. Es sind wieder mehr Erwachsene dabei«, hat Radic im Laufe der Monate entdeckt.
Zugleich zeigt sich in den Kinderstücken unmittelbar, wenn eine Szene oder das Drehbuch an einer Stelle nicht wie geplant funktionier. In »Kaltes Herz« etwa singt die gebürtige Wienerin ein Lied, bei dem die Kinder »sofort angefangen haben mitzuklatschen - obwohl man es nicht sollte.« Man merke, dass sie erst einmal begreifen müssten, wie sie dem Gesehenen begegnen können. Das äußere sich auch in ihrer Körperhaltung. »Manche sind still, andere rutschen auf ihrem Stuhl herum, wieder andere reagieren mit Lachen und Rufen. »Das finde ich bereichernd«, erzählt sie.
Dascha Ivanova hat aber auch bereits erlebt, wie ihr das Publikum entglitt. Als in einer Vorstellung des für deutlich jüngere Besucher angelegten Stücks »Luft nach oben« mehrere Klassen von 15-Jährigen saßen, schrien einige rein, um sich zu produzieren, erzählt sie. »Da habe ich das Gefühl gehabt, ich bekomme die nicht mehr eingefangen.« Ivanova »weiß nach einem guten halben Jahr im Ensemble »noch nicht genau, wie man damit umgeht. Ich sammle noch Erfahrungen.«
Wichtig sei auf jeden Fall die Improvisation, das Interagieren. Das hängt sowohl von der Inszenierung als auch dem Bühnenmoment ab. Es gehöre dann zum Timing, »mal länger zu warten, mal früher reinzugehen, um den Fokus der Kinder zu lenken« erzählt Hirschpointner, der bereits bei einer früheren beruflichen Station in Regensburg Erfahrungen mit dem Nachwuchs sammelte. Für ihn ist es eine »Zusatzaufgabe« im Jungen Theater, »den Raum zu lesen. Müssen wir sensibler sein - oder im Gegenteil gerade noch mehr anfeuern?« Die Antworten müssen die Darsteller jedes Mal aufs Neue auf der Bühne finden.
Für Publikum ab 15 Jahren
Ganz anders ist die Herausforderung, die sich mit »Die Kriegerin« stellt, einem Jugendstück, das in sich seiner Inszenierung prinzipiell nicht vom Programm für die Erwachsenen unterscheide, wie der gebürtige Bayer erzählt. Im Stadttheater könne sich schließlich auch jeder 15-Jährige jedes Stück des Abendspielplans anschauen. Die größte Differenz seien die jungen Figuren, die von einer Lebenswelt ihrer Zielgruppe erzähle. Die beiden wichtigsten Protagonistinnen sind 14 und Anfang 20 Jahre alt. Es ist ein intensiver Stoff, sagt Izabella Radic, bei dem sich das Team die Frage gestellt hat, wie es sich von der Filmvorlage absetzen und sein eigenes, abstrahiertes Ding machen kann. »Meine Rolle spielt im Film Jella Haase. Ich darf natürlich nicht versuchen, sie nachzumachen.« Während der Film einen extremen Realismus zeige, wolle das Theaterensemble einen anderen, abstrakteren Zugang zu der Geschichte finden.
Was die Publikumsreaktionen angeht, müsse das Ensemble in diesem Fall besonders sensibel sein, berichtet sie. Da erzählt eine weibliche Figur von dem Rausch, den das Leben als Neonazi mit sich bringt. »Wie gehen wir aber damit um, wenn da jemand aus dem Saal mitmacht? Darauf müssen wir vorbereitet sein.« Es wird eine weitere neue Herausforderung für das junge Team, dass sich von seiner Aufgabe begeistert zeigt. Gelernt hat Izabella Radic in diesem ersten halben Gießener Jahr, dass es gilt, die Reaktionen ihres Publikums anzunehmen, sie nicht persönlich zu nehmen und nicht an sich zu zweifeln. Und Dascha Iwanova ergänzt: Wir haben einfach Spaß und sind ein gutes Team.« Das bleiben sie übrigens auch mindestens bis zum Ende der nächsten Spielzeit.
Von zwei jungen Frauen in der rechtsradikalen Szene erzählt das Schauspiel »Kriegerin« nach dem preisgekrönten Film von David Wnendt. Das Stück für ein Publikum ab 15 Jahren feiert am Samstag, 11. Februar, um 15 Uhr Premiere im Kleinen Haus des Stadttheaters Gießen. Marisa (Nina Plagens) ist 20, rechtsradikal und voller Wut auf alle und alles um sich rum. Die 14-jährige Svenja (Izabella Radic) versucht, ihrer bürgerlichen Erziehung zu entkommen und will sich Marisas Neonazi-Clique anschließen. Als Marisa in einer Übersprungshandlung eine Gewalttat an dem jugendlichen Asylbewerber Rasul (Nils Eric Müller) verübt und sich ihr Gewissen meldet, kommt ihr Weltbild ins Wanken. (red)