Es geht um alles - und ein Bier

Poetry Slam mit Witz und Biss: Die Landesmeisterschaften wurden jetzt im Ulenspiegel eröffnet - und machen Lust auf mehr. Das Finale steigt am Samstag in Wetzlar.
Gießen. »Gießen ist wie Bochum. Bisschen asozial, aber dabei sehr bewusst und höflich«, befand Poetry Slammer Jan Schmidt bei der Eröffnungsshow der hessischen Landesmeisterschaften im Ulenspiegel - und gab damit die Richtung des Abends vor. Wild, musikalisch, aber auch bissig-kritisch präsentierten sich die beteiligten Wortakrobaten. Der längste Witz der Welt, der wohl kürzeste Song, ein »Plädoyer gegen das Vergessen« oder Zuschauer, die sich in »Dinosaurier« hineinversetzen sollten: Der Auftakt des bis Samstag laufenden Hessen-Slam bot einiges an unterhaltsamen Absurditäten.
Immerhin sei Gießen nicht das »Mordor Hessens«. Denn »dieser Titel gehört nach Marburg,« urteilte Stefan Dörsing grinsend, der mit seinem Kollegen Benedict Hegemann lässig durch die Show führte. Eingeladen hatte das Duo neben dem »Ruhrpottler« Schmidt, der seit 2011 auf den Bühnen steht, auch August Klar aus Paderborn sowie Leah Weigand, Gewinnerin der hessischen Meisterschaften 2021. Sie hatte unter anderem den Beitrag »Dein Gehirn ist ein Sieb« im Gepäck - das angesprochene Plädoyer.
»Wir vergessen Turnbeutel, Geburtstag, aber auch mal eine Pause. Vergessen Kuchen im Ofen, oder Kevin zuhause.« Gekonnt und mit viel Wortwitz traf die junge Frau, die ebenfalls musikalisch aktiv ist und bereits ein Album veröffentlicht hat, beim zahlreichen Publikum die richtigen Töne. August Klar gelang das nicht immer, was allerdings völlig beabsichtigt war. Beim musikbegabten Ostwestfalen, der in seiner Heimat als Moderator des »KultSlam« fungiert, blieb kaum ein Auge trocken. Der »Ed Sheeran der Poetry-Szene« sorgte mit seinem Effekt-Gerät für genial verrückte Kompositionen, er sang, rappte und gab auch den Beatboxer.
Heraus kamen dabei Songs wie »China«, der wohl kürzeste Titel der Welt. »Ich war schon mal in China, dass war ganz okay,« trällerte die Ein-Mann-Band - und schon war das Lied beendet. Richtig gehen ließ sich der 32-Jährige beim »Blues-Rock-Swing-Song« mit Titel »Bar«, ehe er bei seinem Lieblingsthema »Dinosaurier« die Unterstützung des Publikums einforderte, um gemeinsam »Jurassic Park zum Leben zu erwecken«. Kurzerhand wurden die Gäste des Ulenspiegel in drei Gruppen aufgeteilt. Als Pflanzenfresser, Flugsaurier und Fleischfresser dienten sie als Geräuschkulisse zur Untermalung des Beitrags - eine herrlich absurde Klangkulisse.
Ähnlich grotesk wurde es bei Gedichten, an denen die Zuschauer ebenfalls beteiligt waren. Döring und Hegemann hatten sie vor der Pause zu einem Gewinnspiel eingeladen. Die besten Verse wurden mit Tickets für das Finale belohnt. Mit einer »Ode an das Sauerkraut«, welches die »Darmflora entspannen lässt«, sicherte sich eine Besucherin den Preis.
Dass es bei einem Poetry Slam aber nicht nur witzig, sondern auch emotional und kritisch zugeht, zeigten die Akteure bei der Eröffnungsfeier des dreitägigen Literaturfestivals. Zwar startete Leah Weigand ihren zweiten Vortrag mit einer Art Liebesgedicht. «»Du hast manchmal einen an der Waffel, oder gehst mir auf den Keks. Doch mit dir im Gebäck bin ich stets gerne unterwegs.« Doch mit solchen Zeilen wog sie das Publikum nur in Sicherheit, bevor sie zu einem Rundumschlag ausholte, der Kinderarbeit, soziale Ungerechtigkeiten und Profitgier anprangerte und dabei immer wieder mit »schokoladigen« Argumenten daherkam. »So bleibt es für den Einen zart, für den Anderen bitter, weil der Eine gerne spart und dabei verdient ein Dritter. Damit Regenwald unwiderruflich vergeht und halt immer mehr Platz für die Bohne entsteht,« lauteten die eindringlichen Zeilen der Solokünstlerin.
In eine ähnliche Kerbe schlug Jan Schmidt, der bereits über 800 Auftritte absolviert hat. Bei seinem »kleinen Paradoxon von Kampf und Cocktails« kritisierte der kommende Veranstalter der NRW-Landesmeisterschaften die »Macht des Geldes« und dessen Auswirkungen. »Es macht uns gierig und egozentrisch, man verliert den Blick auf sich und die Welt. Der Grund zum Glücklich sein ist bestimmt kein Geld.«
Hauptgewinn ist 20 Minuten alt
Abgerundet wurde der unterhaltsame Abend von einem Quiz, wo neben Moderator Dörsing auch der schon zum Inventar des Ulenspiegel gehörende Lars aus dem Publikum die Chance hatte, ein erst seit zwanzig Minuten »stehendes Bier« als Hauptpreis zu ergattern. Anlass für eine ordentliche »Quizschlacht«, die mit einem gerechten Unentschieden endete. Den Gerstensaft erhielt Lars schließlich für seinen »Willen« trotzdem. So hatte der Startschuss zu den hessischen Landesmeisterschaften im Poetry Slam nur Gewinner zu bieten, Zuschauer und Akteure gleichermaßen.
Am heutigen Samstagabend wird in der Wetzlarer Stadthalle nach zwei Vorrunden das Finale ausgetragen und der neue Hessenmeister gekürt. Beginn ist um 20 Uhr. Weitere Infos und Tickets unter www.hessenslam.de.