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»Es geht um unsere Freiheit«

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Von: Björn Gauges

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Zwei kurdische Aktivisten unterbrechen den Vortrag von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (rechts), um gegen »Erdogans Angriffskrieg« zu demonstrieren. Fotos: Gauges © Gauges

FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann setzt sich an der JLU mit dem Ukraine-Krieg auseinander - und ließ sich von Demonstranten nicht aus dem Konzept bringen.

Gießen. Waffenlieferungen - ja oder nein? Wohl kaum einer von Deutschlands Spitzenpolitikern wird derzeit so sehr mit einem einzigen, kontrovers diskutierten Thema in Verbindung gebracht wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Düsseldorferin ist seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestages und seit dem Kriegsbeginn am 24. Februar zur Stimme der militärischen Unterstützung der Ukraine geworden. In der aktuellen Reihe der Ringvorlesungen an der Justus-Liebig-Universität (JLU) begründete die 64-Jährige nun in einem Gastvortrag ihre Position - an einem Abend, der fast schon erwartungsgemäß nicht störungsfrei verlief.

Demonstranten stören Vortrag

Draußen vor der Tür brachte sich bereits vor Beginn der Veranstaltung in der vollbesetzten Uni-Aula ein gutes Dutzend DKP-Anhänger in Stellung, um gegen die »Rüstungslobbyistin« zu protestieren. Drinnen im Saal rollten dann schon bald zwei junge Aktivisten auf der Bühne ein Plakat aus, mit dem sie gegen den »Chemieangriff« des türkischen Präsidenten Erdogan in Kurdistan demonstrierten.

Die Gastrednerin brachten sie damit aber nicht aus der Ruhe, Strack-Zimmermann dürfte solche Proteste bei öffentlichen Auftritten längst gewohnt sein. So routiniert wie beruhigend wandte sie sich den beiden jungen Demonstranten zu: »Inhaltlich bin ich bei Ihnen. Das ist ein Albtraum.« Zumal der Konflikt im türkisch-syrischen Grenzgebiet mittelbar durchaus mit dem russischen Angriffskrieg zu tun habe, dem eigentlichen Thema an diesem Abend.

Womit die Bundestagsabgeordnete zur »Zeitenwende« kam, dem von Olaf Scholz aufgebrachten »genialen Begriff«, der das drängendste politische Thema unserer Zeit auf den Punkt bringe. So begann Strack-Zimmermann ihren Vortrag mit der Schilderung dramatischer Bilder und Erlebnisse, mit denen sie nach Kriegsbeginn bei einer Reise in die Ukraine konfrontiert war. »Da wurde die völlige Sinnlosigkeit dieses russischen Angriffskriegs sichtbar.« Sie appellierte daher an das Publikum: »Wir alle dürfen nicht wegschauen. Wir müssen die Ukraine mit allem unterstützen, was wir haben.«

Das bedeute: humanitär, wirtschaftlich sowie eben auch militärisch. Zu den von Putins Armee verübten Schrecken zählte die Verteidigungsexpertin etwa »2500 nach Russland entführte Kinder«, »Tausende vergewaltigte Frauen«, die »Zerstörung der Infrastruktur« sowie die permanenten »Angriffe auf die Zivilbevölkerung«. Für die FDP-Politikern ist daher klar, dass dem Aggressor mit allen Mitteln begegnet werden müsse, um das Leid der Ukrainer zu beenden. Das zeige sich allein daran, dass »Putin noch heute entscheiden kann, diesen Krieg zu stoppen«. Würden sich hingegen die Ukrainer dazu entschließen, die Waffen heute niederzulegen, »gäbe es morgen ihr Land nicht mehr«.

Doch Putin zeige kein Interesse an einer Friedenslösung. Er sei ein Imperialist, der seit Jahren eine Agenda verfolge, die uns kaum verständlich sei. Dafür opfere er die eigenen Soldaten und zerstöre ein Land, das er doch erobern wolle: »Das Ganze ist irre!«. In die Richtung der Demonstranten warnte die Rednerin deshalb unter lautstarkem Applaus: »Wer jetzt sagt, Frieden schaffen ohne Waffen, hat den Gong nicht gehört.«

Die 64-Jährige machte zugleich deutlich, dass dieser Konflikt eine weit größere Dimension habe als allein die ukrainischen Schlachtfelder. Die Frontstellung Russlands gegenüber dem Westen habe sich in den vergangenen Jahren von der hiesigen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt vollzogen. »Unsere Sensibilität für Gefahren ist verkümmert.« Das erkläre die mangelhafte Ausstattung der Bundeswehr, während Konflikte an den unterschiedlichsten Schauplätzen heraufzögen.

Dazu zählt die Bundestagsabgeordnete das mit Fake-News von Trollfabriken geflutete Internet, den Weltraum, in dem zahlreiche für die Kommunikation bedeutende Satelliten um die Erde kreisen, ebenso wie die Meere, in denen Tiefseekabel die gesamte Datenwelt verbinden. »Ich will Ihnen da keine Angst machen«, betonte die FDP-Politikerin. Dennoch müsse man wachsam sein, wie etwa Sabotageakte in der Ostsee gezeigt hätten. Und schließlich setze Putin darauf, durch den Diebstahl und das Verhindern von ukrainischen Weizenexporten neue Fluchtbewegungen in Gang zu setzen, die den Westen destabilisierten. »Doch er hat nicht geglaubt, dass der Westen so eng zusammensteht.«

Eine gemeinsame Position der Stärke ist für die Liberale das Mittel, um Putin zu begegnen. Verhandlungen gewährten ihm dagegen eine Atempause und eine neue Chance, die Ukraine zu überfallen. »Wir können daher nur aus einer Position der Stärke heraus ins Gespräch kommen.« Eine Einschränkung machte die Rednerin allerdings: Für ein aktives Eingreifen deutscher Nato-Soldaten »würde ich im Bundestag niemals stimmen«.

Nun sieht die Verteidigungsexpertin große Herausforderungen auf Deutschland zukommen. Es bedürfe neuer sicherheitspolitischer Strategien, wie mit Staaten vom Schlage Russlands, Irans oder Chinas umzugehen sei. Der Aufbau der in Trümmern liegenden Ukraine werde eine »riesige Herausforderung«. Und schließlich müsse die Bundeswehr - gerade angesichts des aktuellen Debakels um den Schützenpanzer »Puma« - mit enormen Summen aufgerüstet werden, um wieder schlagkräftig zu werden.

Bleibt eine gleich mehrfach aus dem Publikum gestellte Frage: Wer trägt all die damit verbundenen Kosten? Darauf hatte Strack-Zimmermann eine klare Antwort: »Sie und ich. Wir haben keine Wahl. Es geht um unsere Freiheit.«

Der Vortrag ist über den Youtube-Kanal der JLU abrufbar: www.uni-giessen.de.

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Profilierte Politikerin: Marie-Agnes Strack-Zimmerman. © Katrina Friese

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