»Es ging rasend schnell«

Als die Demokratie beerdigt wurde: Der Publizist und Journalist Uwe Wittstock stellte seinen Bestseller »Februar 33« in Lich vor.
Lich. Als Uwe Wittstock sein Buch im Herbst 2021 veröffentlichte, konnte er nicht ahnen, welche doppelte Aktualität es angesichts bald folgender weltpolitischer Ereignisse erlangen sollte. Zunächst stürzten die Taliban die vom Westen unterstützte Regierung in Afghanistan, dann begann im Februar der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Und die von Wittstock geschilderten Ereignisse strahlen plötzlich mitten in unsere Gegenwart hinein. Nun stellte der Publizist und Literaturkritiker seinen Bestseller »Februar 33 - der Winter der Literatur« in der Licher Bezalel-Synagoge vor.
Die Schicksale hinter den Namen
Er erzählt darin von kaum mehr als diesem einzigen titelgebenden Monat, in dem sich die erste deutsche Demokratie in eine brutale Diktatur verwandelt hat. Und auch wenn viele längst vieles über die Abläufe von Hitlers Machtübernahme zu wissen meinen, bietet das Werk eine überraschend neue Sicht auf die historischen Ereignisse. Wittstock widmet sich in seiner chronologisch angelegten Erzählung den Schicksalen vieler bedeutender Literaten: von Bertold Brecht bis Joseph Roth, von Egon Erwin Kisch bis Ricarda Huch, von Erich Kästner bis Gottfried Benn, von Thomas über Heinrich bis Klaus und Erika Mann.
Und dem Autor gelingt durch seine temporeiche Montagetechnik, das als Zeitform gewählte Präsens und vor allem die unglaubliche Fülle an Details eine ungemein dichte Erzählung, in der die persönlichen Dramen hinter den berühmten Namen sichtbar werden. Das zeigte sich auch bei seiner Licher Lesung aus der Ovag-Reihe »Leseland Gießen«, die von dem hr2-Moderator Martin Maria Schwarz moderiert wurde.
Ein zentraler Schauplatz des Buches ist der Anhalter Bahnhof in Berlin, von dem aus Züge nach Süden fuhren. Es war die schnellste Option, um das Land in Richtung Prag zu verlassen. Doch während die einen schon auf dem rettenden Fluchtweg nach draußen waren, kamen andere wie der durch die Weltgeschichte »rasende Reporter« Egon Erwin Kisch dort gerade erst an, um den neuartigen Faschismus aus nächster Nähe zu betrachten. Dabei hing das Überleben der Regimegegner bisweilen von Tagen ab, und nicht jeder konnte sich rechtzeitig in Sicherheit bringen. Denn, so Wittstock, mit dem Umbau in ein totalitäres System »ging es rasend schnell«.
Auf seinen Stoff gestoßen ist er eher zufällig durch die Protokolle der in Berlin beheimateten Preußischen Akademie der Künste, in deren »Sektion Dichtkunst« sich damals einige der bedeutendsten Schriftstellernamen der Weimarer Republik befanden. Dieses Gremium wurde von Heinrich Mann und Käthe Kollwitz geleitet, die innerhalb weniger Tage durch eine Intrige aus ihren Ämtern gedrängt wurden. »Wenn man liest, wie sie das erlebt haben, wird es plötzlich eine ganz andere Geschichte«, berichtete Wittstock.
Insgesamt zwei Jahre hat er für das Buch recherchiert, zahlreiche Biografien studiert und dabei viele erhellende Details entdeckt. Etwa einen Bühnenauftritt von Erika Mann, die gerade vor dem großen Durchbruch mit ihrem Kabarettensemble Pfeffermühle stand. Doch als sie Ende Februar 1933 mit dem neuen Programm vor Publikum auftrat, entdeckte sie Wilhelm Frick in den Zuschauerreihen. Frick war Nazi der ersten Stunde und gerade ins Amt gekommener Innenminister des Deutschen Reichs. Und er machte sich Notizen - was Erika Mann als Warnung erkannt haben dürfte.
Es war nur ein Zeichen von vielen, die eine neue Zeit einläuteten. Die Schriftsteller reagierten unterschiedlich darauf: von sofortiger Flucht über innere Emigration bis hin zu Anpassung an das Nazi-Regime. All das hat Wittstock in seinem beeindruckenden Buch zusammengetragen. Und dabei eine Erkenntnis erlangt: »Die Demokratie lebt von der Zivilgesellschaft, die sie verteidigt.« Doch wenn sich die einzelnen Institutionen nicht als wehrhaft erweisen, kann alles ganz schnell vorbei sein. Womit wir wieder beim Grauen der russisch-ukrainischen und afghanischen Gegenwart angekommen wären.
Bei der nächsten Veranstaltung der Reihe »Leseland Gießen« ist am Dienstag, 12. April , um 20 Uhr der Krimiautor Arno Strobel zu Gast in der Gallushalle Grünberg . Er stellt seinen neuen Roman »Mörderfinder - Die Macht des Täters« vor, in dem Hauptfigur Max Bischoff zum zweiten Mal ermittelt.
Eine Ex-Kollegin bittet den Fallanalytiker Max um Hilfe. Ihr Neffe wurde des Mordes beschuldigt und nimmt sich daraufhin das Leben. War es ein Schuldgeständnis oder die Tat eines Verzweifelten?
Karten kosten 12 (9) Euro und sind bei der Ovag (06031 6848-1252), in der Buchhandlung Reinhard, im Laubacher Reisebüro, in der Touristeninformation Gießen, Buck’s Buch und Papierladen sowie der Licher Reisewelt erhältlich. (red)