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»Es ist genug für alle da«

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Von: Eva Pfeiffer

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Laura Gottschalk (l.) und Cato Stemmann im Gewächshaus des Gemeinschaftsgartens. Die Kuppel hat die Initiative selbst gebaut, nachdem der Folientunnel bei einem Sturm beschädigt wurde. Foto: Pfeiffer © Pfeiffer

Initiative bewirtschaftet Gemeinschaftsgarten in Gießen und träumt von Marktstand

Gießen . Das kuppelförmige Gewächshaus ist schon von Weitem zu sehen, auf den Beeten reiht sich Grün an Grün, ein Willkommensschild lädt Spaziergänger zum Betreten ein. Hier, auf knapp 1000 Quadratmetern in Wieseck hinter der Kleingartenkolonie am Sellnberg (Ost), liegt der Gemeinschaftsgarten des Vereins INGE - der Initiative für nachhaltigen Gartenbau und Ernährungssouveränität. Das Vereinsreich lässt vermutlich das Herz eines jeden Hobbygärtners höher schlagen: »Das ist Topinambur«, sagt Cato Stemmann und zeigt auf eine ganze Reihe über zwei Meter hoher Stauden. »Das ist ähnlich wie Kartoffeln, kann den ganzen Winter über geerntet werden und ist super anspruchslos.«

Vorhandenes nutzen

Die 24-Jährige, die derzeit eine Ausbildung zur Gärtnerin macht, hat vor drei Jahren im eigenen Garten angefangen, Obst, Gemüse und Co. anzubauen. Die Frage, wie regional gute Lebensmittel entstehen können, beschäftigt sie schon länger. Im vergangenen Jahr ist sie zu der Initiative gestoßen. Die geodätische Kuppel hat sie in diesem Sommer geplant und mit den anderen Gartenfans gebaut. »Vorher hatten wir einen Folientunnel. Aber der ist ist während eines Sturms im Februar gerissen.«

Für das neue Gewächshaus hat die Initiative fast ausschließlich vorhandene Materialien genutzt, die Folie des Tunnels wurde wiederverwertet. »Das Holz kam von alten Lattenrosten, die wir am Straßenrand aufgesammelt haben.« Lediglich die Fensterheber, die bei Wärme automatisch dafür sorgen, dass Luft ins Haus gelangt, sowie einige Spezialschrauben habe man kaufen müssen.

Im Gewächshaus hat die Gruppe unter anderem Tomaten, Paprika, Chili, Basilikum und Petersilie angepflanzt. Unter freiem Himmel gibt es sechs Beetflächen, die weiter untergliedert sind. Kleine Hinweisschilder verraten nicht nur, was hier gerade sprießt, sondern geben auch Informationen über Erntezeitpunkt, Wasserbedarf und mehr.

Aber auch Bäume wachsen auf der Fläche, denn die Initiative betreibt Agroforstwirtschaft - dabei werden Elemente des Ackerbaus und der Forstwirtschaft kombiniert. »Noch sind die Bäume sehr klein. Aber später sollen sie Schatten für die Beete bringen«, erläutert Laura Gottschalk. Außerdem würden die tiefergehenden Wurzeln der Bäume das Wasser aus dem Boden holen und durch eine geringere Verdunstung bleibe mehr Wasser auf der Fläche. Da überwiegend heimische Obstsorten angepflanzt wurden, bringen die Bäume zusätzlich Ertrag.

Eine feste Struktur gebe es in der Initiative nicht, erzählen Gottschalk und Stemmann. Mittwoch und Sonntag seien aber »Gartentage«, dann wird auch fleißig geerntet. Dabei setzt die Initiative auf Vertrauen und eine gesunde Selbsteinschätzung des eigenen Engagements: Jeder kann selbst entscheiden, wie viele Lebensmittel er mitnimmt.

Wer im Garten arbeiten möchte, muss übrigens nicht zwingend Vereinsmitglied sein - ein Beitritt ist aber gerne gesehen. Aktuell hat der Verein rund 30 Mitglieder, etwa zehn Personen sind regelmäßig im Gemeinschaftsgarten aktiv. Das jüngste Mitglied ist zwei Jahre alt, das Älteste Ende 60. Dabei gilt: Jeder macht so viel, wie er kann und möchte.

Laura Gottschalk ist seit über drei Jahren Teil der Initiative. Die 31-Jährige, die schon als Kind gemeinsam mit ihrer Mutter im eigenen Garten gewerkelt hat, schätzt auch den Selbstversorgeraspekt: »Ich muss nicht mehr so viel einkaufen.« Die Ernte falle immer reichlich aus, »es ist genug für alle da«.

Im Gemeinschaftsgarten, der direkt am R 7 liegt, finden auch Workshops statt: Obstbaumveredelung, die Arbeit mit und das Schärfen der Sense, der Bau einer Totholzhecke - meist sind es Vereinsmitglieder, die ihr Wissen weitergeben. Vieles, erzählen die jungen Frauen, sei angelesen oder »learning by doing«, jedoch würden auch einige Mitglieder im ökologischen Bereich studieren oder arbeiten.

2022 ist bereits die fünfte Saison. Der Start 2018 gelang auch durch Unterstützung vom Institut für Pflanzenbau und -züchtung an der Justus-Liebig-Universität. Das Wiesenstück hatte ursprünglich die Stadt gepachtet, mittlerweile finanziert die Initiative es selbst - und würde sich auch gerne noch erweitern.

»Wir haben viele Ideen«, sagt Gottschalk. So soll etwa eine Komposttoilette entstehen - hierfür fehlt aber noch die Genehmigung -, außerdem wollen die Aktiven eine Wiesenfläche anlegen, um Yogastunden anbieten zu können. Und irgendwann, so die Vision, könnte es vielleicht auch mal einen eigenen Stand auf dem Gießener Wochenmarkt geben - mit Obst, Gemüse und Kräutern, frisch geerntet im Wiesecker Gemeinschaftsgarten.

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