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»Es macht nicht immer alles Spaß«

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Auch bei Promipaaren läuft nicht immer alles rund: die Schauspieler Kai Wiesinger und Bettina Zimmermann. Foto: dpa © dpa

Hungen (red). Mit der Serie »Der Lack ist ab« feierte der Schauspieler Kai Wiesinger auf Amazon Prime Erfolge mit Geschichten über das tägliche Auf und Ab einer modernen Beziehung. Seit »Kleine Haie« und »14 Tage lebenslänglich« ist er aus der deutschen Film- und Fernsehlandschaft nicht mehr wegzudenken. Er hat vier Kinder und ist mit der Schauspielerin Bettina Zimmermann liiert.

»Der Lack ist ab« wurde auch als Buch veröffentlicht.

Jetzt legt Wiesinger nach: mit dem Buch »Liebe ist das, was den ganzen Scheiß zusammenhält«. Darin geht es um ein Leben ohne Schlaf, zwischen harten Kitastühlen, chaotischen Kindergeburtstagen, Homeoffice und schlecht gelaunten Teenies. All das ist Familie. Wiesingers Geschichten erzählen vom ganz normalen Alltagswahnsinn, von den grotesken, kuriosen und komischen Momenten aus dem Leben von Eltern, die auch ein Paar bleiben möchten. In den kommenden Tagen ist er auf Einladung der OVAG zu Gast in Hungen und Lauterbach. Im Interview spricht er über ehrliche Beobachtungen, Toleranz im Umgang miteinander.

Herr Wiesinger, Ihr Buch trägt den Titel »Liebe ist das, was den ganzen Scheiß zusammenhält«. Wie definieren Sie denn »den ganzen Scheiß«?

Mir geht es vor allem um Ehrlichkeit. Ich liebe meine Kinder über alles, aber trotzdem macht mir nicht immer alles nur Spaß. Das Buch ist eine Liebeserklärung an die Familie. Der »Scheiß« ist also natürlich nicht die Familie, sondern das, was man durchmacht, wenn man als Familie durchs Leben geht. Dinge, auf die man als Vater oder Mutter nicht immer Lust hat - weil sich die Interessen der Kinder und der Eltern unterscheiden. Man macht das natürlich gerne mit. Aber manchmal ist das Drumherum eben auch einfach »Scheiß«, der gemacht werden muss. Und ich finde, das sollte man auch so sagen dürfen. Wir machen uns schon genug vor und bekommen genug vorgemacht.

Ein Standpunkt, der in dieser Art von Literatur eher selten zu lesen ist.

Ja. So was sagt einem vorher auch keiner. Es gibt - für die, die es wollen - nichts Schöneres, als Familie zu haben. Aber ich habe mich früher zum Beispiel immer gewundert, dass alle Eltern freitags vor dem Kindergarten sagten: Habt ein schönes Wochenende, genießt es! Und ich dachte: Ich freu’ mich viel mehr auf Montag, wenn alle wieder im Kindergarten sind (lacht). Denn Wochenende kann, wenn man nicht gerade ein wahnsinnig tolles Programm hat, auch sehr anstrengend sein. Als ich diesen Gedanken zum ersten Mal äußerte, stimmten mir viele Leute zu. Aber niemand sagt: Ich wünsch dir gute Nerven fürs Wochenende.

Sie sprechen aus, was andere sich nicht trauen?

Bei »Der Lack ist ab« bekam ich viele Rückmeldungen von der Art: Wir sind glücklich, dass das mal jemand sagt. Weil es nicht gesellschaftskonform ist. Natürlich möchte ich, dass meine Kinder mal sagen: Wir hatten einen tollen Vater. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich alles drum herum lustig und spaßig finden muss. Und das geht vielen Menschen so, mit denen ich gesprochen habe. Es ist oft deutlich entspannter, arbeiten zu gehen als derjenige zu sein, der zu Hause den Laden schmeißt.

Die Figuren in Ihrem Buch sind fiktiv, das was sie erlebt haben und denken auch?

Mir war es ein Anliegen, sowohl Dinge zu erzählen, die ich selbst erlebt habe als auch solche, die ich beobachtet oder gehört habe. Die Gefühle, die ich im Buch beschreibe, habe ich aber alle genau so gefühlt. Das Buch ist aber weder Ratgeber noch Biografie. Es sind Episoden aus über 20 Jahren Familienleben. Es ist ein ehrliches Buch, ohne dass es den Blick in unser Schlafzimmer öffnet. Man kann das ein bisschen mit dem Theater vergleichen, wo Shakespeare früher künstliche Münzen verwendet hat, weil die auf der Bühne anders - echter, »richtiger« - klingen. Und so geht es für mich auch beim Schreiben darum, die richtigen Gefühle auszulösen.

Hilft da Ihre Erfahrung als Schauspieler?

Ich möchte es lieber so sagen: Ich komme vom Film und schreibe auch aus dieser Perspektive. Ich nutze häufig Dialoge, »höre« die Gespräche regelrecht. Und so sind auch die Szenen oft filmisch geschrieben.

Die Figur des Vaters gibt in den Kapiteln recht detaillierte Einblicke in seine Weltsicht und sein Verständnis von Erziehung. Spiegelt das Ihre Ansichten wider?

Natürlich werden im Buch Dinge überspitzt dargestellt. Da geht es ja auch darum, bestimmte Standpunkte möglichst deutlich oder bildhaft zu machen. Ich versuche immer, zwei Seiten anzubieten. Nehmen wir als Beispiel das Kapitel, in der die Familie in die Kirche geht. Er bleibt beim Gebet sitzen und bewundert seine Frau dafür, dass sie das alles mitmacht. Obwohl sie sich gemeinsam dazu entschieden haben, die Kinder nicht taufen zu lassen. Beide respektieren, dass andere im Glauben stark verankert sind. Aber ihm ist wichtiger zu zeigen, dass er die Institution Kirche ablehnt. Das ist mir wichtig im Umgang miteinander: So was auch einfach mal stehen zu lassen, miteinander und untereinander ehrlich und tolerant zu sein.

Sehr aktuell, wenn man die heutige Debattenkultur beobachtet …

Heute gibt es oft nur noch Schwarz oder Weiß. Jeder hat eine Meinung zu Dingen. Stattdessen könnte man ja auch mal sagen: Ich habe ein Gefühl für oder zu etwas, kann aber nicht sagen, ob das jetzt richtiger oder wichtiger ist als das Gefühl meines Partners oder Nachbarn.

Ein Plädoyer für einen anderen Umgang miteinander?

Absolut. Für viel mehr Toleranz und für das Zugeben von Nichtwissen. Nicht falsch verstehen: Ich will nicht Unwissenheit kultivieren, sondern den Leuten zugestehen, auch mal zuzugeben, dass sie keine Ahnung haben. Heute sind Meinungen leider oft stärker als Fakten.

Bezogen auf Eltern und Familien hieße das, ihnen zugestehen, sie selbst zu sein und eigene Erfahrungen zu machen?

Ganz genau. Ich habe vier Kinder, mache das sozusagen seit 25 Jahren - es ist jeden Tag trial and error. Ich versuche immer, die Balance zu finden zwischen dem, was aus meiner Perspektive für das jeweilige Kind wichtig ist, aber auch dem, was ich brauche. Ich glaube, Erziehung ist zu großen Teilen etwas, das man für sich tut. Die Kinder werden wahrscheinlich sowieso groß und toll. Aber wie gestalte ich den Umgang? Ist es mir egal, ob das Kind sich an verabredete Zeiten hält - mache ich mir dann Sorgen? Das führt zu Erziehung. Mich macht es verrückt, wenn ich sage: Um 17 Uhr bist du zu Hause und das Kind hält sich nicht daran. Dann werde ich sehr sauer - aus Sorge! Nicht aus Rechthaberei. Man muss einfach für sich herausfinden, wie man es hinbekommt.

Was sagen denn eigentlich Ihre Kinder zu dem Buch?

Die haben das gar nicht gelesen (lacht). Sie interessieren sich eher weniger für unsere Arbeit - bei uns ist es wie bei anderen Eltern auch.

Ihr Buch umspannt einen recht großen Familien-Zeitraum - von der Geburt der Kinder bis weit in deren Pubertät. War das so geplant?

Ja. Ich wollte erzählen, welche Entwicklung zwei Menschen durchmachen, die als Liebespaar angetreten sind und dann Eltern werden. Und die als Liebespaar bestehen, auch wenn sie dabei völlig selbstlos hinter die Interessen der Kinder treten.

Was erwartet die Besucher der Lesungen?

Ich wünsche mir, dass es wie ein Abend mit Freunden wird. Klar, ich lese vor und sitze auf der Bühne - aber ich möchte, dass wir gemeinsam Spaß haben. Und ich finde es wichtig, dass man miteinander ins Gespräch kommt, das gehört für mich auf jeden Fall dazu.

Das Interview führte Michel Kaufmann.

Kai Wiesinger ist mit seinem neuen Buch »Liebe ist das, was den ganzen Scheiß zusammenhält« Ende März gleich zweimal zu Gast in der Region: Am Donnerstag, 23. März, liest er im Zuge der Reihe »Leseland Gießen« in der Schäferstadt-Halle in Hungen (Beginn 20 Uhr). Am Freitag, 24. März , ist er dann zu Gast im BeratungsCenter der Sparkasse Oberhessen in Lauterbach (Beginn 20 Uhr). Der Eintritt kostet 14, ermäßigt 11 Euro. Karten für die Lesung in Hungen gibt es bei der OVAG (Telefon 06031/6848-1274), in der Buchhandlung Reinhard in Grünberg, im Laubacher Reisebüro, bei Buck’s Buch und Papierladen in Hungen sowie in der Licher Reisewelt und auf adticket.de. (red)

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