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Eskalation im achten Stock

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»Die Vorwürfe stimmen alle nicht«, sagt ein 38-Jähriger, der sich zurzeit vor dem Landgericht Gießen verantworten muss. Foto: Marius Becker/dpa © Marius Becker/dpa

Ein 38-jähriger Vater »wollte Drogenhandel stoppen« und steht nun wegen gefährlicher Körperverletzung und anderer Tatvorwürfe in Gießen vor Gericht.

Gießen. »Alle Geschehnisse basieren nur auf dem Problem, dass in dem Mehrfamilienhaus mit Drogen gehandelt wird.« Der mehrfache Familienvater, der auf der Anklagebank des Landgerichts Gießen Platz genommen hat, schilderte am ersten Prozesstag ausführlich, was aus seiner Sicht die Tatvorwürfe am 25. Oktober 2021 und am 9. Mai 2022 ausgelöst habe. Wegen mehrfacher gefährlicher Körperverletzung, schweren Raubes und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte muss sich der 38-Jährige nun vor der 9. Großen Strafkammer verantworten. Zugetragen haben soll sich alles zumeist vor einer Wohnung im achten Stock eines Mehrfamilienhauses in der Innenstadt.

»Ich wollte denen Angst machen«

»In dem Haus habe ich rund 30 Jahre meines Lebens verbracht, meine Mutter wohnt immer noch dort«, erzählt der Angeklagte. Er besuche sie fast jeden zweiten Tag. Im Frühjahr 2021, rund ein halbes Jahr vor der ersten Tat, sei ein Pärchen in jene Wohnung gezogen. »Seit dieser Zeit findet ein lebhafter Drogenhandel in dem Haus statt, Konsumenten gehen ein und aus«, berichtete er auf Nachfrage seines Verteidigers Turgay Schmidt.

Wenn er vor Ort war, habe er Konsumenten vertrieben und sich auch bei dem Pärchen über den Drogenhandel beschwert. Auch andere Nachbarn hätten dies getan und sogar Unterschriften gesammelt. Am besagten Tag im Oktober 2021 sei er gemeinsam mit einem Bekannten zu der »Drogenwohnung« gegangen. »Ich habe ihn vorgeschickt, weil die beiden bei mir nicht mehr die Tür aufmachen.« Als das Pärchen geöffnet habe, sei er »hervorgekommen« und habe gedroht, dass die Kripo das Haus überwache. »Ich wollte denen Angst machen.« Anschließend sei es zu einem Gerangel in der Tür gekommen. Der Mieter und ein weiterer Mann hätten ihn »in die Mangel genommen«, die Frau sei im Zuge dessen zu Boden gestürzt. »Da bin ich wohl aus Versehen auf sie getreten«, so der 38-Jährige. Laut Anklageschrift hatte die Frau einen ausgeschlagenen Zahn und eine Platzwunde am Kopf. Als wenig später die Polizei mit mehreren Beamten eintraf, habe sich der Angeklagte ohne Widerstand kontrollieren lassen. Aus heiterem Himmel sei allerdings ein weiterer Mieter des Hauses aufgetaucht, der »Polizisten nicht mag«, und habe sich alsbald in einer »sehr, sehr gefährlichen Situation« auf dem Balkon-Flur des achten Stocks befunden. »Ich wollte deeskalierend auf die beiden einwirken, habe gerufen, dass sie aufhören sollen und habe dem Beamten auf die Schulter geklopft«, berichtet der Angeklagte. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 38-Jährigen vor, dass er versucht habe, den anderen Mann zu befreien.

Im Mai 2022 kam es dann wieder zu einer Eskalation. »Der Drogenhandel ging ja immer weiter«, so der Angeklagte. Er habe sich auch weiterhin bemüht, wenn er bei seiner Mutter war, Konsumenten zu verscheuchen. »Sind Sie der Sheriff dort, der gute Mensch im Mehrfamilienhaus, der den Drogenhandel unterbinden will«, hakte der Vorsitzende Richter Dr. Beckmann nach. »Ich hätte Ihnen vorher sagen können, dass das nichts bringt.«

An dem Tag im Mai habe der Angeklagte erstmals einen Konsumenten im Flur angetroffen, der in einer aufgeschnittenen Getränkedose Crack erhitzt habe. »Ich habe die Dose wegtreten wollen, dabei hat sich der Mann wohl an der Dose geschnitten.« Dann sei er hoch in den achten Stock. »Die Tür stand offen, ich bin rein, habe den Dealer geschüttelt und angespuckt.« Dann sei der 38-Jährige wieder rausgelaufen und habe eine Wodkaflasche, die er bei sich trug, dort stehen lassen. Getrunken habe er aber nichts.

Kein Messer im Spiel

»Ich habe den beiden wieder mit der Polizei gedroht.« Ein Messer habe er nicht dabei gehabt. Auch Geld habe er nicht erpresst. Wie es in der Anklageschrift heißt, soll er 50 Euro mit vorgehaltenem Messer gefordert und 20 Euro erhalten haben. Dem Mieter der Wohnung soll er das Messer gar an den Hals gedrückt haben. »Diese Vorwürfe stimmen alle nicht«, wehrt sich der Gießener. Allerdings räumt er ein, dass er früher regelmäßig ein Messer mit sich geführt habe. »Denn ich hatte Angst vor den ›Hells Angels‹.« Gründe wollte er nicht nennen. Er sagte aber, dass er einige Zeit verdeckt als Tippgeber für die Polizei gearbeitet habe. Zudem befinde er sich derzeit auf Bewährung und wolle wirklich keinen Ärger. »Ich bin Familienvater.« Der Prozess wird fortgesetzt.

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