Etwas Normalität im »Krisenjahr«

Die Justus-Liebig-Universität beging ihren Akademischen Festakt wieder in Präsenz. Die Krisen prägten aber auch die Vorträge von Unipräsident und Gastredner
Gießen . Ein Hauch von Normalität wehte am gestrigen Freitag durch das Hauptgebäude der Justus-Liebig-Universität (JLU): Zum ersten Mal seit Pandemie-Beginn feierte die Hochschule ihren traditionell am letzten Freitag im November stattfindenden Akademischen Festakt wieder in Präsenz - und in einer proppenvollen Aula. Ganz so normal war der Festakt aber auch im dritten Corona-Winter nicht, was jedoch weniger an der Pandemie als vielmehr an Ukraine-Krieg und Energiekrise lag. Angesichts der auf Sparflamme laufenden Heizung hatte manch ein Gast seinen Schal gleich anbehalten oder ihn zu einer Decke umfunktioniert. Die derzeitigen Krisen prägten auch die Reden von JLU-Präsident Joybrato Mukherjee und Gastredner Prof. Gerald Haug, Präsident der Leopoldina.
Der »dreißigjährige große Frieden« in Europa sei vorbei, zitierte Mukherjee den Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Man habe sich in Deutschland »vielleicht allzu sorglos auf kontinuierlichen Frieden und immerwährende Sicherheit, auf ein hohes Maß an wirtschaftlicher Stabilität und Wohlstand verlassen«. Der russische Überfall auf die Ukraine habe »sicher geglaubte Gewissheiten zerstört«, aber auch Entwicklungen beschleunigt, etwa mit Blick auf andere Energiequellen.
Gerade jetzt dürfe man Investitionen in Wissenschaft und Bildung nicht vernachlässigen, mahnte Mukherjee. »Die Gefahr des schleichenden Abstiegs Deutschlands und Europas besteht sei dem 24. Februar 2022 möglicherweise mehr denn je.«
Die steigenden Kosten werde die Gießener Universität nicht alleine stemmen können. Zusätzlich zu den Mittelsteigerungen im Hochschulpakt und der Strom- und Gaspreisbremse seien weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Hochschulen notwendig. Den Budgetplan für das kommende Jahr könne man daher noch nicht vorlegen. Auch die Studierenden müssten stärker unterstützt werden: »Die soziale Schere darf sich nicht weiter öffnen zwischen denen, denen die Inflation nichts anhaben kann, und denen, deren Existenzen nun in aller Härte bedroht werden.«
Trotz der vielen Krisen laufe der wieder aufgenommene Präsenzbetrieb an der JLU gut. Das »dreifache Krisenjahr« sei für die Uni zudem in Forschung und Lehre ein erfolgreiches Jahr gewesen, sagte Mukherjee und verwies auf eine Reihe von Auszeichnungen, mit denen JLU-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den vergangenen Monaten bedacht worden waren. Die Forschungserfolge bescherten der Uni zudem kontinuierlich steigende Drittmitteleinnahmen. Im vergangenen Jahr habe man mit 128 Millionen Euro an Forschungsfördermitteln und eigenen Einnahmen einen »Rekordwert« verzeichnet.
Zudem habe man »Zwischenerfolge« auf dem Weg zu einer Erhöhung des Frauenanteils in Leitungsfunktionen erreichen können. Aktuell liege man bei 34 Prozent Professorinnen-Anteil und damit an der Spitze der hessischen Universitäten. Frauen machen zudem 40 Prozent des Präsidiums aus, im Hochschulrat sind sie mit 60 Prozent in der Überzahl. Man sei auf einem guten Weg hin zur Geschlechterparität, es liege »aber auch noch ein ganzes Stück des Weges vor uns«.
Gerald Haug hatte seinen Festvortrag unter den Titel »Das Wissenschaftssystem in der Zeitenwende« gestellt. Ein »krisenresistentes Wissenschaftssystem« mit attraktiven Zukunftsaussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs sei »unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Deutschland die multiple Krise nicht bloß verkraftet, sondern die Anreize nutzen kann, die sie für Innovationen setzt«.
Kritik an Überregulierung
Als Grundproblem der Wissenschaftspolitik sieht Haug die Überregulierung: Die knapper werdenden Ressourcen müssten so »für alles andere als Forschung und Lehre« verschwendet werden. In Zeiten der Krise sei es »ein naheliegender, aber in die Irre führender Weg, die drängendsten Herausforderungen durch immer mehr und immer kompliziertere Regelungen bewältigen zu wollen«.
Der mit 5000 Euro dotierte Preis der JLU wurde in diesem Jahr auf zwei Preisträger in der Sparte Naturwissenschaften und Medizin aufgeteilt: Prof. Elie El Agha und Jun.-Prof. Sven Heiles erhielten die Ehrung. Der Preis für Arbeiten zur Geschichte der JLU ging an Peer Morten Pröve. Den Dr.-Herbert-Stolzenberg-Preis erhielten in der Sektion Rechts- und Wirtschaftswissenschaften Jun.-Prof. Jelena von Achenbach sowie in der Sektion Chemie Dr. Teresa Gatti, den Lehrpreis in der Sektion Chemie Axel Langner.
Der Dr. Dieter und Sigrun Neukirch-Preis ging an Dr. des. Maximilian Höhl (Klassische Philologie), Dr. Eshak Gris und Sina Happel (beide Geografie). Die Studentin Yee Cheng Foo wurde mit dem DAAD-Preis der JLU ausgezeichnet.
Mit Unterstützung der Gießener Hochschulgesellschaft erhielten Dr. Lena Berg, Dr. Andrea Sempértegui, Dr. Susanne Katharina Christ, Dr. Philip Klement, Dr. Roswitha A. Aumann, Dr. Fabian Johannes Pflieger, Dr. Andrea Züger und Dr. Garima Maheshwari Dissertationsauszeichnungen. Der Akademische Festakt wurde musikalisch vom Universitätsorchester der JLU eingerahmt. Foto: Pfeiffer


