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Fasziniert von furiosem Klangerlebnis

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Von: Rose-Rita Schäfer

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Liebt es, in kleinem Rahmen zu spielen: Wibert Traxler. Foto: R. Schäfer © R. Schäfer

Lich (rrs). Ein musikalischer Leckerbissen der besonderen Art wartete am frühen Sonntagabend im Gemeindesaal der Marienstiftskirche in Lich auf die Liebhaber klassischer Musik: Vor kleinem Publikum mit nur rund 20 Zuhörern tauchte der bekannte Pianist Wibert Traxler bei seinem Klavierkonzert in die Werke von Johann Sebastian Bach ein. Zu hören waren Originalkompositionen aber auch Bearbeitungen aus der Romantik-Epoche im 19.

Jahrhundert. Überschrieben war das Konzert mit Beethovens Ausspruch »Nicht Bach, sondern Meer sollte er heißen…".

Brillanter Technik und meisterliche Fingerakrobatik wechselten mit ruhigeren, getragenen Abschnitten, mal gab es träumerische Passagen, mal sprühte das Leben in seiner gewaltigen Klangfülle. Stilles Zuhören war angesagt, um das großartige Musikerlebnis genießen zu können.

Nach wie vor gilt Bach als einer der größten klassischen Komponisten, Vorbild für alle Folgenden wie etwa Beethoven, Vivaldi oder Händel. Auf Bachs Musik muss man sich aktiv einlassen, um sie zu verstehen. Sie ist klar und doch verschachtelt mit vielen Seitenarmen - und fasziniert die Menschen bis heute. Im ersten Teil des Konzerts waren sechs Originalwerke zu hören, im zweiten Teil wurden sieben Transkriptionen vorgestellt. Will heißen: Komponisten der Romantik haben bekannte Bach’sche Werke von Orgel oder Violine für Solo-Klavier umgearbeitet und ihnen so ganz nebenbei eine sehr moderne, teils mitreißende Ausdruckskraft verliehen.

Das weitgefächerte Programm begann mit dem mehrsätzigen Frühwerk »Capriccio sopra la lontananza del suo fratello dilettissimo« in B-Dur (Capriccio über die Abreise des sehr geliebten Bruders), das im Jahre 1839 von Carl Czerny veröffentlicht wurde - dem einzigen Werk mit programmatischen Untertiteln des Komponisten. Es erzählt, wie der Bruder Johann Jacob 1794 als Oboist in die Schwedische Armee ging. Virtuos mit vielen sehr modern anmutenden Läufen, die schließlich in schwingenden, ineinander verschmelzenden Tönen endeten, kam die »Chromatische Fantasie und Fuge in d-moll« daher, was dem Pianisten alles an Fingerfertigkeit abverlangte.

Nach weiteren Fugen, präsentierte Traxler sehr gekonnt die »Fantasie und unvollendete Fuge in c-moll«, die mitten im Stück abrupt und ohne Vorankündigung endet. Vermutet wird, dass Bach über der Ausarbeitung dieses Fugen-Themas, das aus der Notenfolge »B-A-C-H« besteht, verstarb. Ganz am Ende seines Lebens hat er hier zum ersten Mal seine Musik mit seinem Namen signiert. Die originalen Bachstücke endeten dann mit dem dreisätzigen, 1735 erschienen »Concerto nach italienischem Gusto in f-dur«. Stark von der Musik des italienischen Barocks beeinflusst und als Instrumentalkonzert ohne Orchesterbegleitung, spielt es sowohl in Bachs Gesamtwerk als auch gattungsgeschichtlich eine Ausnahmerolle. Beginnend mit fast modernen Anklängen, vielen Trillern, virtuos schnell und beschwingt, geht es nachdenklich, ja träumerisch weiter, nur um zum Schluss pure Lebensfreude in schnellem Spiel zu zelebrieren.

Im Anschluss ging Traxler zu den Bach-Bearbeitungen über. Er startete mit drei Choralvorspielen zu »Nun kommt der Heiden Heiland«, »Nun freut euch, liebe Christen« und »Jesus bleibt meine Freude«, die von Ferruccio Busoni bzw. der letzte Titel von Dame Myra Hess von der Orgel auf das Klavier übertragen wurden.

Es folgte die dreisätzige »Suite aus der Partita Nr. 3 e-dur«, 1933 Sergej Rachmaninow von Violine solo auf Klavier transkripiert. Er lässt ein schillernd-impressionistisches Farbenspiel entstehen, das Preludio besticht mit seiner Virtuosität und modern-verschmelzendem Klang, während die Gavotte mit perlenden Tönen und schnellen Läufen schwingt und fast jazzige Akkorde anschlägt, bis das Ganze im schillernden Farbspiel der Gigue endet.

Über weitere Transkriptionen mündete das Konzert in der berühmten »Toccata und Fuge d-moll«, die Max Reger 1901 von Orgel auf Klavier umsetzte. Ein den Pianisten extrem forderndes Werk, das mit bombastischen Akkorden einsteigt und sich nach perlenden Tonfolgen zu voller Lautstärke und einem mitreißender kaum mehr an Bachs klare Töne erinnernden Klangerlebnis entwickelt. Alle Zuhörer verharrten in staunender Faszination - ein einzigartiges, bisher nicht gekanntes Musik-Erlebnis. Nicht umsonst formulierte Reger damals »Bach ist Anfang und Ende aller Musik«. Um eine Zugabe kam Traxler nach diesem furiosen Schluss natürlich nicht herum.

Der 55-jährige Traxler stammt aus dem Gießener Umland, begann mit zehn Jahren Klavier zu spielen und studierte an der Musikhochschule in Frankfurt. Heute lebt er in Frankfurt, hat seit 28 Jahren dort einen Lehrauftrag und arbeitet nebenbei als Lehrer in der Wetzlarer Musikschule. Große Konzerte sind nicht so sein Ding, er liebt es mehr, sein Wissen an junge Menschen weiterzugeben und auf kleineren Konzerten im Umkreis zu spielen. »Musik muss Freude machen und darf nicht Zwang zur Leistung sein«, ist sein Credo. Das phänomenale Licher Konzert ist seiner Bekanntschaft mit dem heimischen Kantor Christof Becker zu verdanken.

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