Fleißige Helfer für fleißige Bienchen

Der Imkerverein Gießen schult Nachwuchs »auf fachlich hohem Niveau«. In den Hardtgärten ist dafür ein Lehrbienenstand eingerichtet worden. Darüber berichten der alte und der neue Vorsitzende.
Gießen. Sein Hobby ist Stephan Ebelt im wahrsten Sinne zugeflogen - und zwar in Gestalt eines Bienenschwarms, den sein Sohn im Pfarrgarten in Laubach entdeckte. Die Faszination des Theologen war geweckt. »Bienen gehören einerseits zu den Staaten bildenden Insekten, andererseits haben sie manchmal ihren ganz eigenen Sinn und machen ihr eigenes Ding. Das finde ich absolut spannend und beeindruckend«, betont Ebelt, inzwischen selbst Experte, im Gespräch mit dem Anzeiger. Beim Imkerverein Gießen absolvierte er 2020 einen Neuimkerkurs, engagierte sich zudem im Vorstand. Gerade erst hat er das Amt des Vorsitzenden von Konrad Ansorge übernommen. Mit ihm sei zuletzt ein »großer Umschwung« vollzogen worden. Diese Arbeit möchte der - hauptberuflich in der evangelischen Kirchengemeinde Lang-Göns tätige - Pfarrer nun fortführen, gleichzeitig das Gemeinschaftsleben voranbringen und so auch dazu beitragen, dass Imker das ihnen bisweilen anhaftende Image des Eigenbrötlerischen abstreifen können.
Wer sich mit der Imkerei auseinandersetzt, merkt schnell, dass es sich dabei um ein sehr breites und differenziertes Wissensgebiet handelt. »Es ist nicht damit getan, sich irgendwo mal ein Völkchen hinzustellen und der Rest erledigt sich von selbst«, betont Konrad Ansorge. Daher kam dem diplomierten Biologen und Gymnasiallehrer, der sich nach der Pensionierung wieder intensiver seiner einstigen Leidenschaft aus Studienzeiten gewidmet hat, die Idee, Gleichgesinnte nach zeitgemäßen Standards und Konzepten zu schulen. In den Hardtgärten, dem Kinder- und Jugendbauernhof der gemeinnützigen Gesellschaft für Integration, Jugend und Berufsbildung mbH (IJB) boten sich dafür geeignete Bedingungen, so der 72-Jährige.
Stammtisch geplant
Zuvor am Rande von Allendorf angesiedelt, entsprach das Vereinsheim längst nicht mehr modernen Erfordernissen. 2018 sei damit begonnen worden, den Imkerverein komplett umzustrukturieren. Zunächst konnte hinter der »Baumschule Engelhardt« ein eigenes Gelände bezogen werden; als dann die IJB einen Imker suchte, stieg man auch dort als Kooperationspartner mit ein und eröffnete einen Lehrbienenstand.
Inzwischen können jährlich rund 30 Neuimker »auf fachlich ziemlich hohem Niveau« unterrichtet werden. Sie werden über ein ganzes Bienenjahr betreut, lernen die Theorie kennen, können später ihre erworbenen Kenntnisse »am Objekt« praktisch ausprobieren und dürfen sich am Ende sogar eigene Ableger bilden, um selbst weiter zu imkern. Technisch sei man gut und professionell ausgerüstet. Abgesehen von den etwa zehn bis 13 Magazinbeuten - die Behausung der Bienen nennt sich Beute - unter freiem Himmel stehen ein Außenklassenraum sowie in einer angrenzenden Halle obendrein zwei Räume für Materialien, Honigschleuder, Wachsschmelzer (für Altwaben) und Walzanlage (für Wachsplatten) zur Verfügung.
Die Teilnahme an den Seminaren ist kostenlos, vorausgesetzt wird lediglich, dem Verein beizutreten und den Beitrag zu zahlen. »Wir wurden regelrecht überrannt. Die Mitgliederzahl ist von 180 auf mittlerweile 320 angewachsen«, freuen sich Ansorge und Ebelt über die beachtliche Resonanz. Als positiv werten sie ferner, dass die Imkerschaft sich verjüngt und viele Neulinge Frauen sind. Um weitere Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, sind künftig noch monatliche Imker-Stammtische und Tauschbörsen geplant.
Die Honigbiene sei zwar nicht in ihrer Existenz bedroht, sich um deren Pflege und Zucht zu kümmern, ist gleichwohl eine anspruchsvolle Aufgabe. »Als Imker halten wir lebende Tiere, dessen muss sich jeder bewusst sein. Deshalb gilt es, immer am Ball zu bleiben. Auch handwerklich gibt es viel zu tun«, erklärt Konrad Ansorge. Besonders die Zeit bis Juli/August bedürfe einer hohen Betreuungsintensität, ergänzt Stephan Ebelt. Denn das gesamte Bienenvolk - das übrigens »fast ein reines Matriarchat« sei - könne »nur im Zusammenwirken mit imkerlichem Handeln überleben«. Mit dem Hobby geht also eine enorme Verantwortung einher. Etwa, um die Stechfreudigkeit der Bienen zu reduzieren und sie insbesondere resistent gegen Krankheiten zu machen. »Die drängendste Herausforderung besteht darin, sie gegen die Varroamilbe zu schützen«, weiß Ebelt. Auch werde es vermutlich nicht mehr lange dauern, bis sich die in nördlichen Gefilden noch nicht so verbreitete Asiatische Hornisse zu einer »erheblichen Gefahr« entwickele.
Vielfalt der Flora
Nicht zu vergessen ist natürlich, dass mit dem Honig ein Lebensmittel produziert wird, das gesetzlichen Bestimmungen und Reinheitsgeboten unterliegt. Pro Volk seien im Jahr gut 20 bis 25 Kilo möglich, sagt Konrad Ansorge. Und wenngleich Landluft gemeinhin als gesünder gelten mag, weil sie im Vergleich zur Stadtluft in aller Regel wohl weniger verkehrsbedingte Schadstoffe enthält, spiele dies für den Honig aus städtischer Umgebung keine Rolle, versichern die beiden Fachleute: »Die Vielfalt der Flora und die Blühkontinuität übers Jahr sind in der Stadt sogar größer. Die Bienen finden deshalb ein reichhaltiges Nahrungsangebot auf ihrem Speiseplan. Das macht sich auch im Geschmack bemerkbar. Die Qualität ist hochwertig und wird nicht vom Verkehrsgeschehen beeinflusst.«
Stephan Ebelt hat die Entscheidung, sich dem Imkerverein anzuschließen, jedenfalls nicht bereut. Seitdem nehme er »auch viel stärker wahr, wie sich die Natur im Jahresverlauf verändert«. Ohnehin befinde er sich mit seiner Profession »in guter Gesellschaft«, wie ein Blick in die Geschichte der Bienenforschung zeige. Ferdinand Gerstung, der Mitbegründer des »Deutschen Reichsvereins für Bienenzucht«, auf dessen Anregung 1907 in Weimar das »Reichs-Bienenzuchtmuseum« des Deutschen Imkerbundes als erstes seiner Art errichtet wurde und der sich große Verdienste um die Bienenkunde erwarb, war nämlich ebenfalls Pfarrer.
Weitere Infos im Internet unter https://imker-giessen.de/.

