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Fluchtpunkt Tausender Ukrainer

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Wie hat sich die Situation in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen in Gießen entwickelt? Sie ist zum Fluchtpunkt für Tausende Ukrainer geworden. Aber es gibt auch Kritik.

Gießen . Kein Tag ohne Neuigkeiten zum Ukraine-Krieg. In Gießen geht der Blick aber nicht nur gen Osten, sondern auch in die Rödgener Straße, wo die vom Regierungspräsidium (RP) verwaltete Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Hessen (EAEH) untergebracht ist. Diese ist zum Fluchtpunkt Tausender Ukrainer geworden. Der stellvertretende RP-Pressesprecher Thorsten Haas hat einige Fragen des Anzeigers zur aktuellen Situation und den Ereignissen der vergangenen Wochen beantwortet.

Wie hat sich die Zahl der aus der Ukraine in Gießen angekommenen Menschen entwickelt?

Seit dem 24. Februar sind insgesamt 11 985 Menschen aus der Ukraine in der EAEH eingetroffen (Stand: 20. April). Zum Vergleich: Am 20. März waren es noch 6114.

Wie sehen die täglichen Zahlen aus?

Der Tageszugang unterliegt starken Schwankungen. Dies ist abhängig von den Weiterleitungen aus anderen Bundesländern sowie vom direkten Eintreffen von ukrainischen Geflüchteten in Gießen. Derzeit erfolgen durch eine Überquote in Hessen keine Zuweisungen aus anderen Bundesländern, sodass der Tageszugang zwischen 30 und 70 Menschen liegt. Ende März lag dieser noch zwischen 200 und 500. Hinzu kommt der reguläre Tageszugang aus anderen Herkunftsländern, der derzeit zwischen 30 und 70 liegt.

Welche Nationalitäten sind aktuell noch zu finden?

Die Top-Sechs-Herkunftsländer Januar bis März sind neben der Ukraine (70,8 Prozent) Afghanistan (9,8), Syrien (2,7), Türkei (2,4), Aserbaidschan (1,4) und Marokko (1,2).

Zurück zu den Ukrainern: Wie sieht es in den Außenstellen und den kommunalen Notunterkünften aus?

Derzeit befinden sich 3763 Personen in den Standorten der EAEH sowie 223 in den eingerichteten Notunterkünften (Stand: 20. April).

Über Ostern sollten in Gießen Plätze zur Aufnahme von Personen freigehalten werden: Ist das gelungen?

Wie geplant wurden am Standort Gießen freie Kapazitäten über die Osterfeiertage geschaffen. Es sind in diesen Tagen 223 Menschen angekommen. Davon waren 128 aus der Ukraine.

Hat sich organisatorisch etwas verändert?

Ziel ist weiterhin, die geflüchteten Menschen aus der Ukraine so schnell wie möglich zu originär zuständigen Landkreisen und kreisfreien Städten in Hessen nach Maßgabe des Landesaufnahmegesetzes (LAG) zuzuweisen. Derzeit erfolgt eine Zuweisung in die Kommunen innerhalb weniger Tage. Die Entscheidung, welche Geflüchteten in welche Landkreise oder kreisfreien Städte zugewiesen werden, trifft das Regierungspräsidium Darmstadt nach einem festgelegten Verteilungsschlüssel. Dieser ist vergleichbar mit dem Königsteiner Schlüssel für die Verteilung der Geflüchteten auf die Bundesländer.

Laut einem hr-Bericht der »hessenschau« gab es Kritik an »chaotischen Zuständen, mangelhafter Versorgung und schlechter Kommunikation« in der Erstaufnahmeeinrichtung.

Durch den starken Zugang von Geflüchteten aus der Ukraine kann es bei der Aufnahme verständlicherweise auch zu Wartezeiten kommen. Die Tageszugänge schwankten im Vorfeld des genannten Berichtes zwischen 200 bis 600 Menschen pro Tag. Nach der ersten Registrierung in der Ankunftshalle werden kleinere Gruppen gebildet, die zur Unterbringung in ein umliegendes Gebäude gebracht werden. Während der Wartezeit steht den Geflüchteten in den Wartebereichen Verpflegung zur Verfügung. Wir nehmen die uns zugetragenen Anliegen der Menschen sehr ernst und sorgen bei Beschwerden schnellstmöglich für Abhilfe. Uns ist dabei sehr bewusst, in welch existenziell schwieriger Situation die Menschen aus der Ukraine zu uns kommen. Daher wollen wir ihnen den Aufenthalt in der Erstaufnahmeeinrichtung so strukturiert wie möglich gestalten.

Was trägt das Land Hessen hierzu bei?

Zur Entlastung der Kommunen hat die Landesregierung ein Verfahren beschlossen, wie die Aufnahme und Unterbringung ukrainischer Geflüchteter in Hessen organisiert wird. Die EAEH hat dabei eine koordinierende Funktion übernommen und ist dem weiteren Aufnahmeprozess in den Kreisen und Kommunen für alle Geflüchteten vorgeschaltet, die nicht bei Verwandten oder direkt in kommunalen Einrichtungen untergebracht werden können. Ziel ist dann, die geflüchteten Menschen aus der Ukraine schnell den Landkreisen und kreisfreien Städten zuzuweisen.

Wie schaffen Sie das Ganze überhaupt personell?

Um den Zugang geflüchteter Menschen aus der Ukraine für die Kommunen handhabbar zu gestalten, wurden die bestehenden und gut funktionierenden Strukturen der EAEH als Puffer für die Kommunen vorgeschaltet. Dazu wurden die bestehenden Unterbringungskapazitäten deutlich erweitert und Personal aus anderen Landesbehörden und von Personaldienstleistern akquiriert sowie Pensionäre reaktiviert. Derzeit sind rund 450 Personen im Landesdienst in der EAEH in unterschiedlichem Stellenumfang beschäftigt. Alle Standorte werden von Landespersonal verwaltet und durch unterschiedliche Dienstleistungsunternehmen im Bereich Sicherheit, Sozialbetreuung, Verpflegung und Reinigung unterstützt.

Wie ist die Verpflegung organisiert?

Dreimal täglich findet eine Essensausgabe eines externen Dienstleistungsunternehmens statt. Werden bereits am Standort untergebrachte Bewohner zum Beispiel zur Registrierung ins Ankunftszentrum gebeten und können nicht an den Mahlzeiten teilnehmen, so steht ihnen in den Wartebereichen eine Verpflegung mit Brot, Obst, Tee und Wasser zur Verfügung. Die neu ankommenden Geflüchteten, die bis dato durch ihre Ankunftszeit noch nicht im Standort untergebracht wurden und an keiner regulären Mahlzeit teilnehmen konnten, erhalten ein Verpflegungspaket, um die Wartezeit bis zur nächsten Mahlzeit zu überbrücken. Darin enthalten sind Brot, Wurst, Käse, Obst, Schokoriegel, Getränke und Tee.

Die Hygienebereiche und die Reinigung der Räume machen sicher auch Arbeit.

Die Toiletten werden viermal täglich gereinigt und mit Toilettenpapier aufgefüllt. Shampoo steht in Spendern in den Duschen zur Verfügung beziehungsweise ist im Magazin zur Abholung vorrätig. Die Bewohner erhalten zudem alle einen separaten Beutel mit Hygiene-Artikeln. Handtücher liegen zur Abholung im Magazin bereit. Für die Reinigung der eigenen Unterkunftszimmer stehen Reinigungsmittel im Magazin zur Verfügung und werden dort an alle anfragenden Personen ausgegeben. Desinfektionsspender sollten immer zur Verfügung stehen. Das sind die Standards, die wir gesetzt haben.

Wie behalten Sie die Corona-Situation im Griff?

Alle ankommenden Geflüchteten werden unabhängig von ihrer Nationalität mehrmals während ihres Aufenthalts in der Erstaufnahmeeinrichtung auf SARS-CoV-2 getestet: Einmal bei der Ankunft, ein zweites Mal, bevor sie einen neuen EAEH-Standort oder eine Notunterkunft beziehen, und unmittelbar bevor sie in die Kommunen zugewiesen werden. Da in der Ukraine meistens die Impfstoffe Sputnik und Sinovac eingesetzt wurden, erhalten alle Ukraine-Flüchtlinge ein Impfangebot mit Biontech oder Moderna. Dieses Angebot erfolgt noch vor der Verlegung während des Aufenthalts in Gießen. Sollten sich Menschen mit einer Symptomatik auf SARS-CoV-2 in den Notunterkünften melden oder bei einem Test positiv getestet werden, so werden diese Personen inklusive der Kontaktpersonen in die Quarantänebereiche der EAEH-Standorte transferiert und dort entsprechend der gesetzlichen Vorgaben isoliert.

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