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Formen des Verschwindens

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Von: Ursula Hahn-Grimm

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Anne Köhler stellte zusammen mit LZG-Moderator Felix Luckau ihren neuen Roman vor. Foto: Hahn-Grimm © Hahn-Grimm

Gießen. Hempel nervt ganz schön. Der Mann mit dem sprechenden Namen ist einer der Protagonisten im neuen Roman »Nicht aus der Welt« von Anne Köhler. Und von Hempel ist gleich im ersten Kapitel des Buches zu hören. Anne Köhler, 1978 in Gießen geboren, war im Rahmen des vom Hessischen Rundfunk (hr) veranstalteten Programms »Literaturland Hessen« zu Gast beim Literarischen Zentrum Gießen (LZG) und stellte im Hermann-Levi-Saal ihr aktuelles Werk vor.

Ihr Gesprächspartner seitens des LZG war Felix Luckau.

Zurück zu Hempel, von dem der Leser zunächst keinen Vornamen erfährt. Der Student im 26. Semester wird von seiner Freundin überredet, am New York Marathon teilzunehmen, obwohl er überhaupt kein Interesse am Laufen hat. Viermal in der Woche tut er so, als sei er am Trainieren. Tatsächlich aber sitzt er auf Parkbänken oder in der Cafeteria seines Instituts. Fast überraschend findet er sich eines Tages am Berliner Flughafen wieder und möchte am liebsten verschwinden.

Was wäre, wenn es die Möglichkeit gäbe, für eine gewisse Zeit dem eigenen Leben zu entfliehen - an einen geheimen Ort, den niemand kennt? Ähnlich wie Hempel, wenn auch aus ganz anderen Gründen, geht es Friederike. Sie fühlt sich in ihrem Leben als erfolgreiche Professorin und Mutter gefangen. Die junge Frau hat Alpträume und Zwangsvorstellungen, dass ihr Baby vom Balkon fällt oder von der Straßenbahn überfahren wird. Verursacherin der schlimmen Unfälle ist in jedem Fall sie selbst.

Beide Protagonisten befinden sich also an einem Punkt, an dem sie nicht weiterwissen: Beiden wird auf mysteriöse Art ein Schlüssel zu einem Hotel zugespielt, das in keinem Reiseführer steht. Dort sollen sie zur Ruhe kommen und wieder zu sich finden. Doch als sie sich dort begegnen, kommt alles anders und mit der Ruhe ist es schnell vorbei.

Allein schon die Schilderung des Hotels und dessen verschrobenen »Direktors« Valentin ist die Lektüre des Buches wert. In einem Hinterhof in Charlottenburg gelegen, nur an dem Schild »Hotel-Bar« zu erkennen, sorgt das Gebäude mit seiner verwinkelten Architektur und den vielen Fluren immer wieder für neue Spekulationen. Moderator Felix Luckau vermutet, dass es sich um eine architektonische Illusion handelt, die sich in der Realität gar nicht richtig zusammenfügen lässt.

Doch da will sich die Autorin nicht so genau festlegen. Sie stellt vielmehr ausführlich Valentin vor. Ein Sonderling, der sich im Leben nicht zurechtfindet und dessen wichtigste Gesprächspartnerin seine Therapeutin ist. Zu den von der Autorin vorgestellten Textstellen zählte denn auch ein Gespräch zwischen Valentin und besagter Therapeutin. Das sind Abschnitte, bei denen das Publikum befreit auflachen kann, denn der leicht kränkbare »Direktor« wird schnell entlarvt. Er hatte sich von seiner Psychologin schnelle Lebenshilfe erhofft.

Anne Köhler erzählte beim LZG auch von ihrer Art des Schreibens. »Die Personen tauchen ab und entscheiden selbst, ob sie zurück in ihr Leben wollen.« Valentin sei dabei als Figur ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen. »Er kam von allein und hat sich gleich ziemlich breitgemacht«. So erzählt der Roman einfühlsam von Einsamkeit, Selbstzweifeln und verschiedenen Formen des Verschwindens. »Ein wirklich skurriler, unterhaltsamer, aber doch tiefgründiger Roman«, urteilte der MDR.

Anne Köhler studierte Architektur und Kunstgeschichte sowie Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Für die Arbeit an »Nicht aus der Welt« erhielt sie ein Stipendium des Berliner Senats. Nach vielen Jahren in der Hauptstadt ist sie mittlerweile wieder in ihre Heimat Hessen gezogen.

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