Freie Gewerkschaften zerschlagen

Zwei Tafeln sind in den Fenstern des Suchthilfezentrums in der Schanzenstraße 18 platziert und weisen auf das Ereignis vor 90 Jahren hin: Am 2. Mai 1933 wurde dieses Haus beschlagnahmt.
Gießen . Gleich zwei identische Tafeln sind in den Fenstern des Suchthilfezentrums in der Schanzenstraße 18 platziert und weisen auf das Ereignis vor 90 Jahren hin: Am 2. Mai 1933 wurde dieses Haus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes überfallen und beschlagnahmt. Mit einem Gedenken und dem Ablegen von roten Nelken als Symbol der Arbeiterbewegung und Arbeitersolidarität, wurde am gestrigen 2. Mai an diesem historischen Ort daran gedacht, dass damals in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser von SA-Schlägertrupps gestürmt wurden.
In den Tagen danach kam es zu Verhaftungen, Misshandlungen und Morden. Auch in Gießen wurden Gewerkschaftler von Angehörigen der SA (Sturmabteilung der Partei- und Bürgerkriegsarmee der Nationalsozialistischen Partei Deutschlands/NSDAP) am 2. Mai 1933 aus dem Haus des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in der Schanzenstraße getrieben und in die Gaststätte »Trink aus« im Seltersweg gebracht. Dort wurden sie misshandelt und verprügelt, einige schließlich in das KZ Osthofen (bei Worms) verschleppt.
Faschismus stark unterschätzt
DGB-Geschäftsführer Matthias Körner appellierte an die Teilnehmer des Gedenkens, die Demokratie hochzuhalten: »Das ist eine Aufgabe der Gesellschaft.« Große Teile der Ereignisse seien auf die damalige Zerrissenheit innerhalb der Gewerkschaften zurückzuführen. Deshalb auch im Vorfeld der Auftrag an das Marburger Künstlerkollektiv, ein Tafelbild mit der Aufforderung »Schafft die Einheit!« zu kreieren. Im DGB-Gebäude soll dessen künftiger Standort sein. Nach den Worten des DGB-Kreisvorsitzenden Klaus Zecher war der Faschismus in den 20er Jahren stark unterschätzt worden. »Sind wir dagegen oder passen wir uns an?« sei damals die Frage gewesen. Weil es auch als eine vorübergehende Zeiterscheinung angesehen worden sei. »Wir müssen zusammenstehen. Faschismus ist und bleibt als Hauptgegner der Demokratie eine ständige Gefahr.«
Mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2. Mai 1933 hatten die Nationalsozialisten nur wenige Monate nach ihrer Machtergreifung eines der letzten Bollwerke zerstört, das ihnen noch hätte im Weg stehen können. Nachdem die Nazis 1933 an die Macht gekommen waren, begannen sie umgehend, den Staat umzubauen. Systematisch wurden Massenmord und Angriffskrieg vorbereitet. Zuerst Kommunisten und Sozialdemokraten in die Gefängnisse und die ersten KZs geworfen, danach mit der sogenannten Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat sowie dem Ermächtigungsgesetz die demokratische Staatsordnung der Weimarer Republik beseitigt.
Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde die erste Etappe der organisierten Judenverfolgung eingeleitet. Im Jahr 1933 folgte dem »Tag der Arbeit« das dunkelste Kapitel in der Geschichte der freien Gewerkschaften, heißt es in einer Mitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB).
»Im ganzen Land wurden Gewerkschaftshäuser, Büros und Wohnungen von Nazis besetzt. Gewerkschafter, die sich der Gleichschaltung der Gewerkschaften entgegenstellten, wurden verschleppt und gefoltert.« Die kritische Erinnerung frage danach, ob die Gewerkschaften mehr gegen den Nazi-Terror hätten ausrichten können, wären sie weltanschaulich und religiös nicht so zerstritten gewesen. »Der DGB will auch an die tapferen Frauen und Männer erinnern, die für die Idee freier Gewerkschaften selbst Repressalien, Folter und Tod auf sich genommen haben.« Schon vor 1933 hätten die rechtlichen Grundlagen gewerkschaftlicher Arbeit erodiert, heißt es weiter in der Mitteilung. Die Notverordnungen des Jahres 1931 hatten zu Lohnsenkungen gezwungen und bestehende Tarifverträge unterlaufen. »Anfang 1932 lagen die tariflichen Stundenlöhne 17 Prozent unter dem Niveau von 1930.
Lehren gezogen
Auch die Einschüchterungsversuche nationalsozialistischer Gruppierungen begannen vor 1933. Nach der Machtübernahme weitete sich der Terror von SA und SS aus. »Am 2. Mai 1933 markierte das Ausmaß der Gewalt gegen Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter und ihre Häuser einen Punkt, an dem es kein Zurück mehr gab«, schreibt der DGB. Dessen Gewerkschaften hätten aus der nationalsozialistischen Verfolgung und Unterdrückung die Lehre der Einheitsgewerkschaft gezogen. »Nichts darf uns spalten und schwächen.« So trage das diesjährige Mai-Motto »Ungebrochen solidarisch« auch eine Botschaft des 2. Mai in sich. Solidarität verpflichte immer wieder neu zu entschlossenem Handeln gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Intoleranz.