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»Freiheit ist nichts für Feiglinge«

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Hatte in Hungen gut lachen: Freiheits-Kämpferin Anna Schneider, hier mit Ovag-Pressesprecher und Moderator des Abends Andreas Matlè. Foto: Berghöfer © Berghöfer

Die »Welt«-Redakteurin Anna Schneider warb in Hungen für einen selbstbewussten und marktliberalen Individualismus.

Hungen . Seit Alt-Bundespräsident Joachim Gauck hat wohl niemand mehr so oft das Wort Freiheit im Munde geführt wie Anna Schneider, »Chefreporterin Freiheit« der Tageszeitung Die Welt. Dass die Freiheit in diesem Jahr von einer Zwei-Mann-Jury sogar zur Floskel des Jahres gewählt wurde, darf sich Schneider zu einem guten Teil auf die eigene Fahne schreiben. Die 32-jährige Klagenfurterin ist eine der Lieblingshassfiguren der linken Twitterblase. Das Spektrum der Zuschreibungen, allein in den letzten Tagen, reicht da von der »willfährige Botin für ungehobelten Unfug« bis zum »braunen CDU-Lutscher«.

Im Kulturzentrum Hungen, wo Schneider in der vom Energieversorger Ovag gesponserten Reihe »Leseland Gießen« ihr erstes Buch »Freiheit beginnt beim Ich« vorstellte, hatte sie unter den 60 Zuhörern indes keinen Gegenwind zu befürchten. Und auch Ovag-Pressesprecher Andreas Matlé brachte die bestens gelaunte Schneider, die sich nach eigenem Bekunden längst eine Elefantenhaut zugelegt hat, mit seinen Fragen nicht in Verlegenheit. Stattdessen betonte er den Mut des Veranstalters, auch mal eine Autorin einzuladen, die sich viel Häme, oft aus dem neuen Linksspektrum, zuziehe und die die - natürlich auch von der Ovag vorangetriebene - Energiewende durchaus kritisch sehe.

Nun ist Schneider genauso wenig Nazi wie die Merz-CDU eine konservative Partei, aber sie ist eine bekennende Libertäre, auch wenn sie sich wohl eher als Liberale sieht. Nicht von ungefähr pries sie in Hungen die Säulenheilige aller Marktradikalen, Ayn Rand, der sie ihr nächstes Werk widmen möchte.

Während diese amerikanische Philosophin im stets eher kollektivistischen Verlockungen auf den Leim gehenden Deutschland nahezu unbekannt geblieben ist, wird die Auflage ihrer Werke in den USA nur noch von der der Bibel getoppt. Rand, die Moral und Altruismus als Sünde wider das Selbst verdammte, ist aus Schneiders Sicht eine Verteidigerin der Freiheit. Und die Freiheit der Anderen endet bei Schneider da, wo die eigene Freiheit beginnt.

Für jemanden, der den kategorischen Imperativ auf den Kopf stellt, gab es konsequenterweise im Rückblick keinen Grund für eine «Panik-Krise« in den Corona-Jahren. In ihrer Kritik an ebenso überzogenen wie letztlich nutzlosen Maßnahmen gegen die Pandemie, deren allzu willfährigen Umsetzung und der kaum hinterfragten Aussetzung von Grundrechten, machte sie einen Punkt beim eher maßnahmenkritischen Publikum in Hungen. Allerdings haben wir nach Corona einen anderen Blick auf die Auswirkungen der Pandemie als vor Corona. Und ob es wirklich hilfreich gewesen wäre, an die Stelle der allzu blinden Gefolgschaft für das Team Lauterbach das bloße Vertrauen in das eigene Bauchgefühl zu setzen, konnte Schneider auch nicht überzeugend darlegen.

Meinungsstark aber argumentativ oft eher nebulös bleibt sie eine Philosophin fürs Twitterzeitalter. Getreu der Devise »Was schert mich mein Gezwitscher von gestern« kann sie dort das neolinke Konzept der Kontaktschuld (nachdem einen schon der bloße Kontakt mit Andersdenkenden ideologisch kontaminiert) deutlich kritisieren und es dann selbst wenige Wochen später auf politische Gegner anwenden. Vom wohlwollenden Publikum in Hungen wurde freilich keine Stringenz eingefordert. Vielmehr wurden plakative Slogans wie »Freiheit ist nichts für Feiglinge« beklatscht.

Argumente für einen liberalen Freiheitsbegriff lieferte Schneider dagegen in ihrer klaren Abgrenzung von der immer mehr raumgreifenden Identitätspolitik. Wer sich auf eine Debatte über Quoten für Minderheiten einlasse, öffne die Büchse der Pandora, betonte die Journalistin. Wer nämlich mehr oder weniger unveränderliche Merkmale wie Hautfarbe oder sexuelle Orientierung individuellen Verdiensten vorziehe, falle hinter die Aufklärung in ein mittelalterliches Weltbild zurück.

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