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Freispruch für Umweltaktivistin

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Von: Ingo Berghöfer

Kammer des Landgerichts Gießen sieht in der Widerstandsaktion einer jungen Frau gegen die Rodung für die A 49 unterhalb der Strafbarkeitsgrenze.

Gießen . Außer (reichlich) Spesen nichts gewesen, so könnte man den Berufungsprozess gegen eine Klimaaktivistin vor dem Landgericht Gießen zusammenfassen. Die junge Frau war bereits vor einem Jahr am Amtsgericht in Alsfeld vom Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und des Landfriedensbruchs freigesprochen worden. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Gießen Berufung eingelegt. Doch der Freispruch wurde jetzt von der 8. Strafkammer unter Vorsitz von Jost Holtzmann bestätigt, wenn auch mit einer gänzlich anderen Begründung als in der ersten Instanz.

Damals war die Aktivistin mangels Beweisen freigesprochen worden. Es sei nicht zweifelsfrei festzustellen, dass die Angeklagte dieselbe Person sei, die sich am 4. Dezember 2020 in einem Baumhaus in rund 20 Metern Höhe im Dannenröder Wald mit einem sogenannten »Lock-On« an einen Baum gekettet hatte, hieß es. Laut Staatsanwaltschaft hat sich die Angeklagte mittels Plastikrohren, die mit metallarmiertem Beton ummantelt waren, an einen Ast fesseln lassen. Daher habe sie aufwendig mitsamt diesem Ast von einer Hebebühne aus zu Boden gebracht werden müssen, wo man sie mittels eines Trennschleifers befreite und in die Gefangenensammelstelle transportierte. Dort habe sie keine Angaben zu ihrer Person gemacht.

An der Nasenspitze

Um die Identität der Angeklagten zu klären, wurde diesmal ein anthropologisches Gutachten in Auftrag gegeben. Das kam nach dem Vergleich von 167 Aufnahmen, die nach der Festnahme im Dannenröder Wald gemacht worden waren, mit dem Passfoto der Angeklagten zu dem Ergebnis, dass Verdächtige und Angeklagte, nicht zuletzt aufgrund einer »auffälligen Nasenspitzenabsetzung«, zu 98 Prozent identisch seien. Für Staatsanwältin Nathalie Dohmen war mit dem Einbetonieren der eigenen Arme die Schwelle des passiven Widerstands überschritten. Das sei keine Maßnahme im Meinungskampf mehr gewesen. Stattdessen habe die Angeklagte ihre Ziele mit Zwang durchsetzen wollen. Zwar stelle der Klimawandel eine erhebliche Gefahr für jedes Leben auf der Erde dar, so Dohmen, allerdings sei die Blockade der Angeklagten kein geeignetes Mittel, um diesen zu verhindern.

Dohmen warf der Frau auch die Missachtung staatlicher Autoritäten vor, weil diese während ihrer Ausführungen demonstrativ gelacht und gegessen habe, und erhöhte das in Alsfeld wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geforderte Strafmaß von 40 Tagessätzen à fünf Euro auf jeweils zehn Euro für 40 Tage. Die Verteidigung, die sich drei Mitstreiter der Aktivistin als Laien-Rechtsbeistände teilten, forderte dagegen erneut Freispruch. Den bekam sie schließlich auch.

Zwar sah es die Kammer als erwiesen an, dass die Angeklagte sich im Dannenröder Wald an einem Baum habe einbetonieren lassen, doch hätte die Klage gegen sie gar nicht erst zugelassen werden dürfen, auch wenn die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes schwierig sei, argumentierte Jost Holtzmann in der Urteilsbegründung.

Zwar habe der Hessische Verwaltungsgerichtshof in einer noch während der Räumungsphase verfügten Entscheidung das Versammlungsrecht höher bewertet als ein auf einer Allgemeinverfügung des zuständigen Forstamtes Romrod basierendes Betretungsverbot des Waldes und deshalb zeitlich begrenzte Demonstrationen im Wald auch während der Rodungsphase erlaubt: Doch diese Rechtsauffassung teile er nicht, betonte Holtzmann. Nichtsdestoweniger sei es der Angeklagten nicht vorzuwerfen, dass sie sich damals in einem Rechtsirrtum befunden habe. Auch sei ihre Schuld des gewaltsamen Widerstands so gering, dass schon die Staatsanwaltschaft am unteren Rahmen des möglichen Strafmaßes bleibe. Von einer Strafe sei daher zwingend abzusehen.

Laschet vorladen?

Holtzmann beendete seine Ausführungen mit einem Appell an die Angeklagte, ihm und den Vertretern des Rechtsstaates auch den Respekt zu erweisen, den dieser ihr entgegenbringe. Die Frau hatte sich vor der Urteilsverkündung erst nach der Androhung eines Ordnungsgeldes von 150 Euro als Letzte im Saal von ihrem Platz erhoben.

Auch die Sympathisanten der Umweltaktivistin rief er mehrfach zur Ordnung, weil diese immer wieder mit Gelächter den Fortgang der drei Prozesstage kommentiert hatten. Allerdings sorgten auch die Laienverteidiger für skurrile Momente, etwa als sie sich uneins waren, ob sie noch einen letzten und damit 35. Beweisantrag stellen wollten und diesen Streit kurzerhand mit einem Münzwurf entschieden. Zuvor hatten sie vergeblich die Vorladung von Gerhard Baum (FDP), Armin Laschet (CDU) oder des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, als Entlastungszeugen gefordert. Diesem Ansinnen gab Holtzmann ebenso wenig statt wie der Einladung der Greifswalder Punkband »Restposten«. Die habe an jenem Tag so laut im Wald gerockt, dass man etwaige Anweisungen der Polizei beim besten Willen nicht habe hören können.

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