Gaskammern und Schreibtischtäter

Eine Ausstellung mit Arbeiten von 13 Künstlern aus der Region wird am Dienstag im Psychiatriemuseum der Gießener Vitos Klinik eröffnet.
Gießen. Die Größenordnung der Tragödie wird schon durch die erste Installation im Eingangsbereich des Psychiatriemuseums sichtbar gemacht. »Jeder Stein ein Leben« heißt das Werk von Anette Köhler, und tatsächlich hat sie exakt 30147 Kiesel in einer rechteckigen Fläche auf dem Boden gesammelt - jeder davon zeigt den handschriftlich markierten Vornamen eines von den Nazis ermordeten Menschen. »Ich möchte, dass diese Opfer, zumindest teilweise, einen Namen bekommen und dass die Zahl der Getöteten im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar wird«, sagt sie zu dem eindrücklichen Werk, für das sie auf eine Liste des Bundesarchivs mit Euthanasie-Opfern zugriff.
Köhler zählt zu einer Gruppe von insgesamt 13 Künstlern aus der Region, die ihre Arbeiten - Fotografien, Zeichnungen, Installationen - jetzt auf dem Gelände der Vitos Klinik zeigen. Es ist eine Dauerausstellung, die Leihgaben der Beteiligten bleiben bis auf Weiteres auf dem weitläufigen Gelände, von dem aus hunderte Menschen in die NS-Tötungsanstalt Hadamar nahe Limburg transportiert wurden. Am kommenden Dienstag, 21. März, wird die Schau in den Räumen des Museums eröffnet (siehe Kasten).
Die Idee zu dem Projekt kam Mitinitiator Wennemar Rustige schon vor einigen Jahren, als er an einer Führung teilnahm. Der langjährige Leiter der Gedenkausstellung, der Oberarzt AD Herwig Groß, erzählte so anschaulich und kenntnisreich von der Geschichte dieses Ortes während der Nazi-Zeit, dass sie dem Gießener Mitglied des Oberhessischen Künstlerbunds (OKB) und des Bundesverbands Bildender Künstler*innen Marburg-Mittelhessen (BBK) dauerhaft im Kopf hängen blieb. Dann kam allerdings Corona und das Projekt lag erst einmal auf Eis. Doch nun zeigen die 13 beteiligten Mitglieder der Gruppen BBK und OKB auf vielfältige Weise, wie sie sich dieses schwierigen Themas angenähert haben. Der Titel: »Künstler*innen für Menschenrechte«.
Rustige selbst hat ein Triptychon geschaffen, dass von einem Besuch der Tötungsanstalt Hadamar inspiriert ist. Dort sind zwischen Januar 1941 und März 1945 im Rahmen der sogenannten Aktion T4 sowie der anschließenden »dezentralen Euthanasie« rund 14500 Menschen ermordet worden - weil sie an psychischen Erkrankungen litten und dort für ihre Mörder von ihrem vermeintlich »unwerten Leben erlöst wurden«, wie Museumsleiter Herwig Groß beim Presserundgang erläuterte. Rustige hat die Bodenfliesen der Gaskammern in Hadamar fotografiert und auf drei Bildern fotorealistisch abgebildet - mit all ihren Rissen, der abgeblätterten Farbe sowie einem Abfluss.
An diesen Ort und die Tötungsmaschinerie erinnert auch die wirkungsvolle Installation von Thomas Wörsdörfer. Er hat einen schwarzen Schreibtisch aufgestellt, auf dem ein Formular sowie einige ärtztliche Gegenstände drapiert sind. Hinzu kommen schwarz-weiße Fotografien, auf denen die Leichen von Anstaltsinsassen in die Gaskammern geschleppt werden. So verweist der Künstler auf die Schreibtischtäter, denen schon ein Stempel und eine Unterschrift reichte, um ihre Opfer der Tötungsmaschinerie auszuliefern.
Wie wahnhaft diese Nazi-Ideen waren, verdeutlichen zahlreiche Porträtfotos oder Zeichnungen von großen Künstlern, die unter Schizophrenie oder anderen psychischen Erkrankungen litten. Zu erkennen sind da etwa die Schriftsteller Franz Kafka, Virginia Woolf und Friedrich Hölderlin, der Maler Vincent van Gogh oder die Musiker Amy Winehouse und Elton John.
Zu den bildstarken Objekten zählt auch ein Haufen aus hölzernen Schuhleisten, den die Gießenerin Maggie Thieme in einem einzelnen Raum zusammengestellt hat. Er erinnert auf eigentümliche, etwas gespenstische Weise an die Berge von Alltagsgegenständen, die etwa im KZ Auschwitz an die unzähligen Opfer dort erinnern. Die Gießenerin Angelika Nette hat einen alten Leichenwagen der Psychiatrie mit weißen Laken und einer Lilie geschmückt. Und Irene Peil erinnert mit einem großen Leinentuch an den Satz »Die Würde des Menschen ist unantastbar«.
»Wir wollen mit unserer Ausstellung auch einen Bogen ins Hier und Heute schlagen«, erklärt Rustige. Er hat dazu für eine Skulptur einen Polizeihelm mit rosa Farbe bemalt, der auf einer Stele mit einem rosa Wimpel angebracht ist. Mit diesem Wimpel wurden in den KZs der Nazis homosexuelle Männer markiert. Es ist eine Anspielung auf eine Aussage des AfD-Rechtsextremen Björn Höcke, der sich bei einem Wahlkampfauftritt in Sachsen über die »verschwuchtelte Polizei« echauffierte. Sätze, die für Wennemar Rustige klar machen, dass wir immer wieder aufs Neue für die Menschenrechte und gegen Diskriminierung und Ausgrenzung kämpfen müssen.
Weitere Informationen zu den Künstlern und der Ausstellung gibt es im Internet: www.künstler-innen-für-menschenrechte.de.
Die Ausstellung »Künstler*innen für Menschenrechte« wird am Dienstag, 21. März, um 16 Uhr auf dem Gelände der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Gießen (Licher Str. 106, Haus 10) eröffnet. Die Künstler sind anwesend. Interessenten können zudem weitere Termine mit dem Künstler Wennemar Rustige (Tel: 0175 4022750) oder Herwig Groß vom Psychiatriemuseum (0174 3474570) vereinbaren.
Die Eröffnung findet im Rahmen eines Festakts zum 25-jährigen Bestehen der Dauerausstellung »Vom Wert des Menschen« statt, die die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Gießen 1911 bis 1945 nacherzählt. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung per E-Mail ist erforderlich. Die Adresse lautet: foerderverein-psychmuseum@vitos-giessen-marburg.de. Das Programm beginnt um 16 Uhr mit einer Führung über das Gelände inklusive des Museums. Um 17.30 Uhr folgt die offizielle Eröffnung mit Empfang. Neben Gästen aus der Politik, darunter Landesministerin Angela Dorn und musikalischer Begleitung gibt es auch eine Podiumsdiskussion zur Geschichte der 1998 eröffneten Gedenkausstellung. Weitere Infos im Internet unter www.vitos-giessen-marburg.de. (bj)
