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Gegen Verlegung am Lebensende

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Von: Rüdiger Schäfer

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Der letzte Weg vieler Menschen führt oft in ein Krankenhaus. Dabei gibt es Möglichkeiten, die eine unnötige Verlegung verhindern können. Symbolfoto: Frank Molter/dpa © Red

Wie die Betreuung von Menschen im Pflegeheim verbessert werden kann, berichtete im Seniorenbeirat Jens Dapper, Geschäftsführer des Awo-Stadtkreises. Wie den letzten Weg gestalten?

Gießen . Fast 80 Prozent der Menschen sterben nicht Zuhause, sondern woanders. Manche draußen durch Unfall oder medizinischen Notfall. Drei Prozent im Hospiz, wesentlich mehr im Krankenhaus oder Pflegeheim. Wie die Betreuung von Menschen im Pflegeheim verbessert werden kann, berichtete im Seniorenbeirat Jens Dapper, Geschäftsführer des Awo-Stadtkreises. Wie den letzten Weg gestalten? Dazu stellte Dapper die Ergebnisse aus dem Projekt Avenue Pal vor. Er berichtete über die Aufgabe, diese zu integrieren in ein Palliativkonzept einer stationären Pflegeeinrichtung, in diesem Fall der Awo Gießen im Albert-Osswald-Haus.

Keine Rückkehr

»Wer bei uns nicht vorübergehend, also für nur kurze Zeit ins Pflegeheim kommt, der wird auch bei uns sterben.« Bereits beim Einzug würde dies bei den zu Pflegenden angesprochen. Das müsse natürlich auf sehr empathische Weise erfolgen. Auch über Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen würde ausführlich beraten. Dabei würden auch die Angehörigen mit ins Boot geholt. »Wegducken ist nicht die Lösung.«

Besprochen werde auch die Phase eines nahenden Lebensendes. Viele Menschen wollen in vertrauter Umgebung sterben, ob dies nun das Zuhause ist oder die vertraut gewordenen Wände ihres Pflegeheimzimmers. Deshalb wird eine Verlegung des Sterbenden in der letzten Pflegephase vom Pflegeheim in ein Krankenhaus in der Studie nicht befürwortet.

Medizinische und ethische Faktoren

»Meine Mutter ist in einem Krankenhaus gestorben. Das hätte nicht sein müssen«, erzählte Dapper. Wenn der Zustand eines palliativ Versorgten sich stark verschlechtern würde, sodass mit baldigem Ableben gerechnet werden müsse, würden die Angehörigen umgehend benachrichtigt. Problematisch sei dann, mit deren oft geäußertem Verlangen umzugehen, den Sterbenden noch in ein Krankenhaus zu verlegen, um sein Ableben hinauszuzögern. In der Studie wurden gut ein Dutzend Risikofaktoren für medizinisch und ethisch nicht vertretbare Verlegungen systematisch ermittelt.

Zu den medizinischen und pflegerischen Risiken zählen unter anderem Atemnot, Schmerzen, Verschlechterung der Grunderkrankung, Erschöpfung. Zu diesen Risikofaktoren wurden Maßnahmen und Aktivitäten entwickelt und in das Palliativkonzept überführt. So die Entwicklung und Schulung von Standards. Um personale und organisatorische Risiken zu vermeiden, wird bei der Personalentwicklung ein Dienstplanmodell zum proaktiven Fehlzeitenmanagement eingeführt und die Fachkraft in Fortbildungen zur Palliativ-Care-Kraft qualifiziert. Auch die Orga- und EDV-Entwicklung müsse zu einer gezielten Infoübersicht der wichtigsten Parameter für die Verlegungsentscheidung führen. Schließlich sollen ebenso die externen Risikofaktoren gemindert werden.

Dazu gehören unsichere und destabilisierte Angehörige, unzureichend eingebundene oder fehlende Hausärzte, keine Patientenverfügung, kein Testament. Während des Projektes von Avenue Pal, so Dapper, habe man im ersten Halbjahr 2020 noch vier Fehlverlegungen im Sinne des Projektes ermittelt, im zweiten Halbjahr seien keine mehr erfolgt, in gesamten Jahr 2021 keine einzige beobachtet worden. 2022 habe es bis August nur eine »vermeidbare« gegeben.

Der Gießener Awo-Chef bezeichnetet die Effekte und Ergebnisse in seinem Pflegeheim mit derzeit 205 Bewohnern als »allesamt top.« Die Leitlinie habe die Qualität zur Aufklärung und Betreuung von Menschen in ihrer letzten Lebensphase - statt cure (heilen) nun care (betreuen) - wesentlich verbessert. »Es gibt einen offeneren Umgang mit dem Thema Tod und Sterben.« In einem Pflegeheim werde »viel gestorben«. Die Mitarbeiter beschäftige dies natürlich. »Wir lassen sie nicht allein«, versicherte Dapper.

»Zur Absicherung der praktischen Anwendung der Leitlinie und des Palliativkonzeptes seien bei der Awo Gießen verschiedene Maßnahmen ergriffen worden. So die Freistellung eines Palliativ-Care-Beauftragten und die Entwicklung eines EDV-gestützten Palliativ-Protokolls, das eine Orientierung und Strukturierung der Pflege in der palliativen Phase gebe. Zur Nutzung der Ergebnisse und deren praktische Anwendungen in Gießen sei mit dem Seniorenzentrum Johannes-Stift ein Austausch initiiert worden.

»Wichtig-Mappe«

Im Wesentlichen enthält diese Mappe Formulare, die in einem Notfall wichtig sein können: Persönliche und medizinische Daten, Vorsorgevollmachten und Verfügungen, Platz für »Notizen für den Notfall«. Als Download findet man die »Wichtig-Mappe« unter www.soziales.hessen.de/seniorinnen/wichtig-mappe. Ausgedruckt gibt es sie beim Seniorenbüro im Rathaus.

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