1. Startseite
  2. Stadt Gießen

Gelacht wird auch im Hospiz

Erstellt:

giloka_2807_hospiz_ebp_2_4c_1
Drei Generationen, eine Leidenschaft: Hospiz-Verein-Koordinatorin Mirjam Weiß-Arzet mit den ehrenamtlichen Begleiterinnen Ruth Engelsing und Kim Herrmann (v.l.). Foto: Pfeiffer © Pfeiffer

72 Jahre Altersunterschied und doch eine große Gemeinsamkeit Ruth Engelsing und Kim Herrmann engagieren sich im Hospiz-Verein Gießen für Sterbende

Gießen . 72 Jahre liegen zwischen Ruth Engelsing und Kim Herrmann. Und trotzdem haben die Frauen eine große Gemeinsamkeit: Beide engagieren sich ehrenamtlich im Gießener Hospiz-Verein. Engelsing ist mit ihren fast 90 Jahren die älteste Freiwillige, die Sterbende oder schwer kranke Menschen an deren Lebensende begleitet, ihnen zuhört oder einfach nur da ist. Herrmann ist 17 Jahre alt und will in zwei Jahren ihr Abitur machen. Doch anstatt am Wochenende auf Partys zu gehen, hat sie sich für die Schulung für ehrenamtliche Hospizbegleiter angemeldet - als jüngste Teilnehmerin. Warum?

Als in der zehnten Klasse ein Praktikum anstand, wollte die Schülerin dies gerne im medizinischen Bereich absolvieren - doch die Corona-Pandemie gestaltete das schwierig. Stattdessen begleitete Herrmann ihre Mutter bei deren Arbeit für einen Pflegedienst. Dabei habe sie Menschen kennengelernt, »die völlig alleine sind oder in schwierigen Familienverhältnissen leben. Sie haben sich auf die Pflegekräfte gefreut, weil es die einzigen Menschen waren, die zu Besuch kamen«.

Das Praktikum beim Pflegedienst machte der jungen Frau Spaß, durch ihre Mutter lernte sie die Palliativpflege kennen. Hinzu kommt: »Meine Uroma ist im Hospiz gestorben. Hier leben die Gäste ganz anders, als im Krankenhaus. Es wird sich viel Zeit für sie genommen. Da habe ich mich gefragt: Was kann ich machen?«

Beim Hospiz-Verein war man gespannt auf die junge Frau. »Wir freuen uns über jeden, der Interesse hat, das ist immer ein Geschenk«, sagt Koordinatorin Mirjam Weiß-Arzet. »Aber 17 Jahre, das ist schon etwas Besonderes.«

Die Mitarbeiterinnen des Hospiz-Vereins führen mit allen Interessierten Gespräche: Was sind die Beweggründe, welche Erwartungen haben die Menschen an den Kurs und spätere Begleitungen? Sind sie der Aufgabe gewachsen? Haben Sie überhaupt Zeit dafür? »Wir hatten nicht den Eindruck, dass wir sie davon abbringen können«, sagt Weiß-Arzet und lacht.

Bei Freunden und Schulkameraden stieß die Entscheidung der jungen Frau durchaus auf Verwunderung. »Das könnte ich nicht« war ein Satz, den die 17-Jährige oft zu hören bekommen habe. »Viele denken, dass es im Hospiz nur traurig ist.« Und auch ihre Mutter habe Bedenken gehabt, auch wegen eigener Trauerfälle in der Familie. »Sie wollte mich beschützen.«

Doch bis Kim Herrmann Menschen in deren letzten Tagen, Wochen oder Monaten beisteht, wird es noch etwas dauern. Denn die Hospizbegleiter müssen volljährig sein. Einbringen in die Vereinsarbeit kann sie sich bereits jetzt.

Da passt es besonders gut, dass sich der Hospiz-Verein anlässlich seines 25-jährigen Bestehens in diesem Jahr dem Thema »Junges Ehrenamt« widmet. Die Schülerin ist Teil einer Projektgruppe, die mehr junge Menschen für das ehrenamtliche Engagement erreichen will. »Wir wollen als Verein nicht alt werden«, betont die Koordinatorin. Aber junge Mitglieder sind nicht nur für die Zukunft des Vereins wichtig: »Nicht jeder, der stirbt, ist alt. Daher ist es schön, wenn es für sie auch junge Begleiter gibt.« Während Kim Herrmann noch recht neu dabei ist, ist Ruth Engelsing bereits seit zwei Jahrzehnten im Hospiz-Verein aktiv. Damals war sie noch nicht lange in Rente und auf der Suche nach einer neuen Aufgabe. Durch Zufall lernte sie ein Gründungsmitglied kennen, bald darauf ließ sie sich zur Hospizbegleiterin ausbilden. Belastet die Arbeit sie manchmal?

»Natürlich nimmt man auch mal etwas mit nach Hause«, sagt die 89-Jährige. »Aber ich bin froh, wenn ich den Sterbenden beruhigen oder ihm zuhören kann, wenn er etwas auf dem Herzen hat.« Auch Berührungen könnten in den letzten Tagen wichtig sein, die Ehrenamtliche bietet den Menschen daher ihre Hand an. »Das tut ihnen gut, das merkt man.«

»Der Wunsch nach Umarmung hört nicht auf, aber im Alter lassen die Kontakte nach«, hat Koordinatorin Weiß-Arzet festgestellt. Pflegekräfte dagegen müssen berühren, auch wenn es nicht gewünscht ist. Den Hospizbegleitern wird daher geraten, dem Sterbenden eine Hand zu reichen und seine Reaktion genau zu beobachten. »Manche Menschen sind am Ende sehr berührungsempfindlich. Es ist ein sensibles Thema.«

Wie viele Sterbende Ruth Engelsing bereits begleitet hat, das kann sie nicht sagen. Zu Beginn gab es das Hospiz Haus Samaria noch nicht, sie traf die Menschen im Krankenhaus. Außerdem ist sie im Awo-Pflegeheim im Tannenweg im Einsatz. Und selbst ein Beistand über Tausende Kilometer Entfernung - der Sterbende lebte in den USA - war für die 89-Jährige dank Internet möglich. »In meinem Alter gibt es so viele, die krank sind oder jemanden in der Familie haben, dem es schlecht geht. Da ist es auch wichtig, sich einfach mal auszukotzen.«

Bevor sie ein Zimmer zum ersten Mal betritt, halte sie erst noch einen kurzen Moment inne. Ob die Person in dem Moment ihre Gesellschaft will, das zeige sich schnell. Nur einmal sei es in all den Jahren vorgekommen, dass sie wieder gegangen sei, weil die Person alleine sein wollte.

Wie die Begleitungen aussehen, ist dabei so unterschiedlich, wie die Menschen, für die sie gedacht sind. Mal höre sie einfach nur zu, mal stricke man gemeinsam und selbst Witze habe sie schon erzählt - woraufhin ihr Gegenüber »in schallendes Gelächter ausgebrochen ist«.

Koordinatorin Weiß-Arzet rät, das Thema Tod beim Besuch »nicht auf den Tisch zu knallen«, aber diesbezüglich Offenheit zu signalisieren. »Familien können manchmal nicht über den Tod sprechen«, der Hinweis auf den Hospiz-Verein öffne da mitunter Türen und gebe Möglichkeiten, das eigene Sterben in Worte zu fassen.

Apropos Familie: Die Hospizbegleiter müssen es auch aushalten können, wenn sie und die Angehörigen nicht einer Meinung sind oder es familiäre Spannungen gibt. »Wir sitzen nicht auf dem Richterstuhl. Familienkonstrukte sind manchmal sehr kompliziert«, verdeutlicht Weiß-Arzet. Die Ehrenamtlichen verhalten sich daher wertschätzend sowohl dem Sterbenden als auch seinen Angehörigen gegenüber. Und auch wenn Konflikte aufbrechen, spiele das keine Rolle: »Egal was ein Mensch getan hat, er hat am Ende seines Lebens das Recht, mit Respekt behandelt zu werden.«

Auch interessant