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»Geld reicht hinten und vorne nicht«

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giloka_sowVerdi01_010323_4c © Sonja Schwaeppe

Mit wehenden Fahnen, Trillerpfeifen und von lauter Musik begleitet gingen am Dienstag rund 450 Beschäftigte aus Stadt und Landkreis Gießen auf die Straße.

Gießen . Mit wehenden Fahnen, Trillerpfeifen und von lauter Musik begleitet gingen am Dienstag rund 450 Beschäftigte aus Stadt und Landkreis Gießen auf die Straße. Die Mitarbeitenden kommunaler Dienststellen und Verwaltungen, von Kitas, Bauhöfen, Arbeiterwohlfahrt, Sparkassen und der Vitos-Klinik forderten mehr Gehalt: Es geht in der laufenden zweiten Tarifrunde um ein Plus von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Aufgerufen hatte zu dem Warnstreik die Gewerkschaft Verdi.

»Geld reicht hinten und vorne nicht«

Eine der Teilnehmerinnen ist Bettina McNeil aus Gießen. Sie und 14 ihrer Kolleginnen und Kollegen sind erstmals bei einem Streik dabei. Sie folgten dem Demonstrationszug von den Hessenhallen über den Anlagenring bis zur Kundgebung auf dem Kirchenplatz. Normalerweise würden sie in der Vitos-Klinik Gießen putzen, denn McNeil und ihre Kolleginnen arbeiten bei der Vitos Service, einer GmbH, die unter anderem für die Reinigung der Klinikbereiche zuständig ist. »Unser Lohn, auf Mindestlohnniveau, reicht hinten und vorne nicht«, beklagt sie im Gespräch mit dem Anzeiger. Deshalb stünden sie hier und seien sehr motiviert. Die Gewerkschaftsforderungen sehen sie als »Gebot der Stunde«. Gerade die 500 Euro Mindesterhöhung seien insbesondere für die unteren Lohngruppen, zu der auch sie gehört, essenziell wichtig. »Sonst können wir die steigenden Lebenshaltungskosten durch Teuerung und Inflation nicht mehr stemmen.«

McNeil findet es wunderbar, dass fast alle aus ihrem Arbeitsbereich geschlossen bei dem Streik mitmachen. Ein Kollege ergänzt: »Unsere Belegschaft hat großen Mut bewiesen, hier in so großer Zahl zu erscheinen, denn auf Arbeitgeberseite wurde das nicht gerngesehen.«

Auch für Lubja Kohl und Daniel Beise geht es um mehr Geld und um Solidarität. Kohl arbeitet in der Sucht- und Wohnungslosenhilfe bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Gießen, Beise studiert »Soziale Arbeit« im dualen Studium. »Heute gehen wir mal für unsere eigenen Interessen auf die Straße«, sagt Kohl. Auch sie stufen die Mindestforderung von 500 Euro als besonders wichtig ein. »Es geht hier um Solidarität mit denjenigen, die bei uns die Knochenjobs verrichten«, verdeutlichen Beise und Kohl.

Mehr Personal für Kitas

Aus den Landkreiskommunen waren ebenfalls zahlreiche Arbeitnehmende vertreten - beispielsweise aus allen kommunalen Kitas in Staufenberg. »Die Arbeitsanforderungen und -bedingungen haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert«, erzählt eine Erzieherin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in diesem Beruf tätig ist, ihren Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte. Das Gehalt müsse endlich angepasst werden und auch die Praktikanten müssten angemessen vergütet werden. »Und wir brauchen mehr Personal, damit wir mehr Zeit haben und allen Anforderungen, die an uns von den Kindern, den Eltern und auch von uns selbst gestellt werden, endlich gerecht werden können.«

Bislang keine Einigung

Noch werden die Forderungen von Arbeitgeberseite nicht gehört, wie Holger Simon, Gewerkschaftssekretär für die Kommunalbeschäftigten in Mittelhessen, verkündet. Erst am zweiten Verhandlungstag habe es überhaupt ein Angebot gegeben, berichtet er auf der Kundgebung. So bieten die Arbeitgeberverbände in einer Laufzeit von 27 Monaten zum 1. Oktober 2023 drei Prozent mehr Lohn an, ab dem 1. Juni 2024 sollen es noch mal zwei Prozent mehr sein. Einen Mindestbetrag von 500 Euro lehnten die Arbeitgeber allerdings kategorisch ab. »Mehr Lohn würde den Fachkräftemangel nicht beheben, sagen sie«, ruft Holger Simon unter Buh-Rufen in die Menge.

Stattdessen soll es eine Inflationsausgleichsprämie geben: 1500 Euro für Beschäftigte und 750 Euro für Azubis und Dual-Studierende im Mai 2023. Im Folgejahr sollen die Arbeitnehmer 1000 Euro erhalten, Auszubildende 500 Euro.

»Wir Gewerkschaften werden verhindern, dass Arbeit so billig wie Dreck wird«, schwört Matthias Körner die Anwesenden ein. Er sprach ein Grußwort im Namen des Deutschen Gewerkschaftsbundes Hessen-Thüringen. Einem Konflikt würden die Gewerkschaften nicht aus dem Wege gehen. »Es gibt keinen besseren Schutz gegen kapitalistische Abzocke als eine organisierte Arbeitnehmerschaft«, ruft er unter Beifall. Solidarische Grüße richtete auch eine Vertreterin der Belegschaft des Uniklinikums Gießen-Marburg aus. »Ihr kämpft für das, was Euch zusteht.«

Für Bettina McNeil und ihre Kolleginnen ist der Warnstreik keine Eintagsfliege. Sie möchten sich weiter für gerechte Löhne einsetzen. »Sieben Kolleginnen und ich sind heute in die Gewerkschaft eingetreten.«

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