Geschichten von brutalen Verbrechen

In »Maxima Culpa« beschäftigt sich der »Tatort«-Schauspieler Joe Bausch auch mit dem Mord an dem Zauberkünstler »Riconelly« in Gießen. Das Buch ist flott geschrieben, enthält aber einige Fehler.
Gießen. Allein die Vorstellung dürfte so manchem schlaflose Nächte bereiten. Besagt doch angeblich eine - wenn auch ziemlich schräge - Statistik, dass jeder Mensch in seinem Leben im Schnitt etwa 36 Mördern, 51 Sexualstraftätern und rund 370 Psychopathen begegnet. Für Joe Bausch hat diese Art der Wahrscheinlichkeitsrechnung indes »kaum erschreckende Wirkung«. Schließlich stellten derartige Kontakte während seiner 32 Dienstjahre als Anstaltsarzt in einem Hochsicherheitsgefängnis grob überschlagen sein Wochenpensum dar. Doch damit nicht genug: Als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth diagnostiziert er im Kölner »Tatort« regelmäßig die Auswirkungen von blutigen Missetaten, die danach von den Kriminalhauptkommissaren Freddy Schenk und Max Ballauf binnen 90 Minuten aufgeklärt werden müssen. Und nun hat der Mann mit den markanten Gesichtszügen mit »Maxima Culpa. Jedes Verbrechen beginnt im Kopf« - mit Unterstützung des Journalisten Bertram Job - obendrein sein drittes Buch vorgelegt, das sich wiederum mit den vielen Gesichtern des Bösen beschäftigt und dem er die ungewöhnliche Zahlenfolge voranstellt.
Flott, pointiert, aber mit Ungenauigkeiten
In den »gesammelten Geschichten« ereignen sich allerhand brutale und hinterhältige Verbrechen, etliche psychopathisch und narzisstisch gestörte Herren und Damen setzen angesichts mannigfaltiger Motive diverse Tatwerkzeuge ein und die Zahl der gemeuchelten Opfer ist kaum mehr zu überblicken. Mal in Gütersloh oder in Wien, dann auf der Kanalinsel Jersey oder im Allgäu, in London, Prag und auch in einer Kleinstadt im Münsterland. Zeitlich ist der Bogen ebenfalls weit gespannt: Exkurse führen ins antike Rom, in den fernen Osten des 15. Jahrhunderts und ins England des Jahres 1834. Nicht zu vergessen das eine oder andere scheinbar nebenbei eingeworfene Zitat der Weltliteratur.
Mit diesem kriminalgeschichtlichen Parforceritt, der den Fokus auf die Gegenwart legt, wird der 69-Jährige gleich zweimal für Lesungen im Gießener Raum Station machen. Da passt es natürlich geradezu vortrefflich, dass er sich in einem der zehn Kapitel - hinzu kommen noch Vorwort und Nachwort - intensiv dem Mord an dem in Mittelhessen beliebten Zauberkünstler »Riconelly« widmet. Oder vielmehr der »kräftigen Frau mit den halblangen dunkelbraunen Haaren«, die Ende Januar 2018 vom Landgericht Gießen wegen gleich dreier brutaler Tötungsdelikte »mit bloßen Händen« zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Damals stellte die Schwurgerichtskammer nicht nur die besondere Schwere der Schuld fest, sondern verhängte zusätzlich Sicherungsverwahrung. Ein Strafmaß, das Joe Bausch zu der Überschrift »Der trockene Tod« inspiriert hat, da sich keine Option auf ein »Leben danach« biete. Eine Argumentation, die nicht wenige Juristen zweifelsohne zum lautstarken Widerspruch reizen könnte, denn selbst bei »LL mit SV« besteht die Chance, den Gefängnismauern legal wieder zu entkommen.
Auf 21 Seiten fasst der schauspielernde Mediziner auch diesen spektakulären Fall durchaus flott und pointiert zusammen. Beim genauen Lesen aber offenbaren sich alsbald etliche Ungenauigkeiten und Fehler. Die »Psychopathin« mit ihrem »Hang zu erheblichen Straftaten« dürfte dem Autor also nicht persönlich begegnet sein. Sicher nicht an seinem Arbeitsplatz in der JVA Werl, die ein reiner Männerknast ist. Und zum Gießener Landgericht hat sich der auf dem Klappentext gefeierte »Experte für Verbrechen und das Böse« wohl ebenfalls nicht aufgemacht. Prozessbeobachtern wäre der prominente Zuschauer gewiss aufgefallen. Gleichwohl beschreibt er die Szenen, die sich nach der Urteilsverkündung ereignet haben, überaus anschaulich und beruft sich dabei auf Augenzeugen, ohne diese oder gar eine andere Quelle zu benennen. Er zitiert fleißig den Staatsanwalt, die Vorsitzende Richterin und nicht zuletzt die Angeklagte. Allerdings bleibt unklar, woher die wörtlichen Aussagen stammen.
Selbst bei der Beschreibung der Ermittlungen drängt sich mitunter der Eindruck auf, als habe der Autor den »sehr unaufgeregt und systematisch« agierenden Kripo-Beamten beim Spurensuchen und zuvor bereits der »unerbittlichen« Täterin beim Morden über die Schulter geschaut. Ein Stil, der sich übrigens durch die knapp 300 Seiten zieht.
Zitat aus dem Brief der Täterin
Gleichzeitig weist ein ausführlicher Artikel, der kurz nach dem Gießener Urteil im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« erschienen ist, etliche verblüffende Übereinstimmungen mit den Schilderungen in »Maxima Culpa« auf. Bemerkenswert: Eine mehr als beachtliche Anzahl von Zitaten ist völlig identisch. Beispiele gibt es genug: In beiden Beiträgen weint die Mutter auf dem Gerichtsflur, dort mit »Freundinnen«, da mit »Bekannten«. Die Journalistin fragt sich, ob sich die Angeklagte an dem Zauberkünstler rächen wollte. Joe Bausch stellt fest: »Es könnte also auch Rache gewesen sein.« Und in beiden Texten findet sich zur Bekräftigung das wortgleiche Zitat aus einem Brief der einstigen Nachbarin in der Sudetenlandstraße an den alten Mann.
Im Grunde ist es einfach, sich Informationen über die Mörderin von »Riconelly«, der bei Joe Bausch »Ambrosini« heißt und als Artist unter der Zirkuskuppel für Furore gesorgt hatte, zu verschaffen. Zumal es die »ebenso korpulente wie fragile Frau« zu einem eigenen Eintrag bei Wikipedia - in Deutsch und auf Englisch - gebracht hat, der noch weitere Literaturhinweise liefert.
Trotz der per Mausklick bequem aufzuspürenden Hilfsmittel muss bei der Recherche einiges schiefgegangen sein, enthält der Text doch erstaunlich fehlerhafte Details. Während in vielen Zeitungsberichten nämlich erwähnt wird, dass mehr als 100 Zeugen in dem Mammutverfahren gehört worden sind, sind es in »Maxima Culpa« plötzlich »über rund 100 Prozesstage«. Tatsächlich waren es »nur« 45. Das lässt sich auch mehr als vier Jahre nach der Urteilsverkündung noch problemlos beim Gießener Landgericht per E-Mail erfragen. Auch hat Ayla M. - wie die Angeklagte im Buch genannt wird - nicht im »Schatten ihres Verteidigers« geschwiegen, sondern bis auf ganz vereinzelte Ausnahmen stets flankiert von zwei Rechtsanwälten, die mehr oder weniger engagiert für einen Freispruch kämpften.
Ärgerlich sind ferner Formulierungen, dass »die Richterin« dem Antrag des Staatsanwalts gefolgt sei. Das würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die beiden Berufsrichter und die zwei Schöffen, die eine Schwurgerichtskammer laut geltendem Recht komplettieren, völlig überflüssig und reine Staffage sind. Das müsste Joe Bausch, der beim Krimifestival in Gießen selbst schon erzählte, dass er in Marburg - zumindest kurzzeitig - Jura studiert hat, besser wissen.
Selbstredend ist das bei Ullstein veröffentlichte Taschenbuch keine juristische Fachlektüre. Doch was hindert einen kompetenten Autor oder verantwortungsvollen Lektor eigentlich daran, Fachbegriffe korrekt zu verwenden? Da wird gleich im ersten Kapitel ein Richter mit den Worten zitiert: »In der Sicherheitsverwahrung haben Sie die Chance, sich Ihre Ungefährlichkeit zu erarbeiten.« Sollte der Jurist in jenem Prozess wirklich nicht gewusst haben, dass es Sicherungsverwahrung heißt? Rund 70 Seiten später beschreibt Joe Bausch - oder eben sein Co-Autor -, dass einer der Angeklagten, der für den Mord an drei Reinigungskräften eines Fitnessstudios im Münsterland zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, versucht hat, zuvor »die Geschworenen zu beeindrucken«. Dumm nur, dass es Geschworene in deutschen Gerichtssälen schon lange nicht mehr gibt. In Anbetracht solcher Schnitzer mag kaum mehr ins Gewicht fallen, dass mal ein Durchsuchungsbeschluss (richtig) und mal ein Durchsuchungsbefehl (weniger richtig) vor einer polizeilichen Maßnahme vorgelegt wird. Der Unterschied mag minimal sein, aber der ist es auch zwischen Schalke 04 und Schalke 05. Und dennoch sorgt solch ein Verdreher - zu Recht - nicht nur bei Fans des Revierclubs für Verärgerung.
Quellen werden nur selten genannt
Unterschlagen werden soll nicht, dass in einzelnen Passagen für Zitate sehr wohl »Der Spiegel« oder andere Medien und Autoren als Quelle genannt werden. Aber das bleibt letztlich die Ausnahme.
Die Tatsache, dass der Rechtsmediziner des Kölner »Tatort« im vorderen Klappentext des Buches »Dr. Jose fRoth« heißt, im hinteren Klappentext jedoch als »Dr. Jose ph Roth« auftaucht, mag allein schon die fehlende Sorgfalt dieser Publikation untermauern. Auf der Homepage der beliebten Krimiserie lässt sich - wiederum ganz mühelos - die korrekte Version mit »ph« in Erfahrung bringen.
Joe Bausch (mit Bertram Job): Maxima Culpa. Jedes Verbrechen beginnt im Kopf. Ullstein Buchverlage Berlin 2022, 286 Seiten, 12,99 Euro.
Mit dem Programm »Verbrechen beginnt im Kopf« gastiert Joe Bausch am Donnerstag, 8. September, um 20 Uhr in der Kongresshalle Gießen. Tickets sind ab 29,90 Euro erhältlich.
Nur 12 Euro kostet hingegen der Eintritt am 20. Oktober in der Stadthalle in Hungen. Dort liest der frühere Anstaltsarzt im Rahmen des Literaturfestivals »Leseland Hessen« ebenfalls um 20 Uhr aus »Maxima Culpa«.