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Geschwindigkeit der Zeit verändern

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Bewegungsmuster von Robotern haben Einfluss auf das Zeitempfinden. Foto: Julian Kaduk / Bora Celebi © Julian Kaduk / Bora Celebi

Künstliche Intelligenz soll autonom auf gestresste und gelangweilte Menschen reagieren - Ein Team der JLU Gießen um Prof. Dr. Knut Drewing ist an dem EU-geförderten Projekt ChronoPilot beteiligt.

Gießen (red). Während sich im Stau die Sekunden und Minuten wie Kaugummi zu dehnen scheinen, vergehen ausgerechnet die schönsten Momente wie im Flug. Gleichzeitig fühlen Menschen sich gerade im Job oft unter Zeitdruck. Mit der Tatsache, dass wir die Zeit je nach Situation unterschiedlich wahrnehmen, beschäftigt sich das EU-geförderte Projekt ChronoPilot, an dem auch ein Team aus der Wahrnehmungspsychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) beteiligt ist. Die Forschenden möchten die Zeitwahrnehmung eines Menschen über äußere Messungen erkennen und in die gewünschte Richtung verändern. Erstmalig soll damit die subjektive Zeitwahrnehmung als veränderbarer Faktor in der technologischen Anwendung etabliert werden, erläutert die Universität in einem Presseanschreiben.

Ob für einen Menschen die Zeit im Schneckentempo oder in Blitzgeschwindigkeit vergeht, verraten messbare Vorgänge im Körper. Dazu zählen etwa die Herzfrequenz, die Leitfähigkeit der Haut oder die Bewegungen der Pupillen. Auch die mentale Belastung eines Menschen beeinflusst die Zeitwahrnehmung. Zu den Zielen des Projekts gehört es daher, die gemessenen physiologischen Daten automatisch durch Künstliche Intelligenz (KI) interpretieren zu lassen und die Zeitwahrnehmung durch bestimmte Maßnahmen positiv zu verändern.

Dafür stehen eine Vielzahl an Mechanismen zur Verfügung, die in der Wahrnehmungspsychologie bereits bekannt sind: So können Musik, Lichtblitze, Vibrationen auf der Haut oder das Betrachten von bewegten Gegenständen dafür sorgen, dass die Zeitwahrnehmung sich verändert. Solche Sinneseindrücke lassen sich etwa durch Kopfhörer, eine Virtual-Reality-Brille, in Kleidungsstücke integrierte Motoren oder die Betrachtung von beweglichen Robotergruppen künstlich generieren. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz könnte es also möglich sein, dass Kleidungstechnologie oder Roboter autonom auf gestresste oder gelangweilte Menschen (etwa im Arbeitsumfeld) reagieren.

Im Rahmen des Forschungsprojekts ChronoPilot wird am Standort Gießen unter anderem Kleidung entwickelt, die durch Vibration oder Wärme Mechanismen der Zeitwahrnehmung anspricht, ohne dass das Sehen oder Hören gestört wird. Getestet wird in dem Projekt auch, wie Roboter sich in ihren Bewegungen anpassen können, wenn sie mittels KI feststellen, dass menschliche Kolleginnen oder Kollegen wahlweise gestresst oder gelangweilt sind. Die Roboter, die in Konstanz entwickelt werden, waren kürzlich für Experimente »zu Besuch« an der JLU. Die bisherigen wahrnehmungspsychologischen Experimente legen nahe, dass die menschliche Zeitwahrnehmung tatsächlich mit der Hilfe von Sinneseindrücken verändert werden kann.

In Zukunft sollen diese Techniken den steigenden Grad an Automatisierung für den Menschen erträglicher machen und die Gefahren durch Ablenkung und Unterforderung, etwa in autonomen Fahrzeugen, abmildern, wird erläutert.

Zu dem von der EU mit insgesamt rund drei Millionen Euro geförderten und in Athen koordinierten internationalen Forschungsprojekt »ChronoPilot« gehören Forschende aus Psychologie, Robotik und Informatik. Für das Gießener Teilprojekt unter der Federführung von Prof. Dr. Knut Drewing stehen gut 600 000 Euro zur Verfügung.

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